Vor kurzem wurde ich vom Verband der Privatkrankenanstalten zu meiner Einschätzung befragt, wie sich das Change Management und die Veränderungskommunikation durch die Pandemie verändert. Das Interview lesen Sie unten im Volltext oder auf der Website der Privatkrankenanstalten -> hier
Interview mit Gerhild Deutinger über das Change Management in der Corona-Krise
Sie sind Expertin im Bereich Change Management – hat sich das Veränderungsmanagement durch COVID-19 selbst gewandelt? Und welche drastischen Maßnahmen hat die Corona-Pandemie in diesem Bereich gefordert?
Nun, zuerst müssen wir die Begriffe ein wenig auseinanderdividieren, bevor ich Ihre Frage beantworten kann. Die Pandemie ist eine klassische Krise mit allen Begleiterscheinungen. Am Beginn große Unsicherheit, der Wunsch nach einer zentralen Entscheidungskraft, die durch den Nebel navigiert. Dann kam das Fahren auf Sicht und das Lernen aus vielen kleinen Schritten. Noch ist die Krise in vielen Branchen nicht vorbei – ein neues Normal zeigt sich nicht wirklich; es ist eher ein Arrangieren mit der Krise. Erst nach einer Krise beginnt das Change Management oder auch das große Aufräumen. Organisationen, die resilient und vorausschauend sind, starten schon Change Management-Projekte. Das sind zum Beispiel Schritte in die digitale Transformation oder Initiativen für bessere Vereinbarkeiten oder neue Zeit- und Arbeitsflexibilität. Die Pandemie hat den Finger vielfach auf Wunden gelegt, die auch vorher schon da waren. Jetzt sollten sie wirklich nachhaltig behandelt werden. Mit diesem jetzt beginnenden Veränderungsmanagement können wir wirklich eine neue Form und Kultur des Miteinander Arbeitens entwickeln. Gleichzeitig soll auch nicht verschwiegen werden, dass Change Management in einigen Branchen jetzt Downsizing bedeutet, Neuausrichtung oder Komplettumbau. Das ist schmerzhaft und braucht viel Kraft.
Welche Change-Initiativen raten Sie ArbeitgeberInnen, um die MitarbeiterInnen in dieser schwierigen Zeit zu unterstützen?
Begleitung und Stabilisierung sind derzeit die wichtigsten Ankerpunkte, die Arbeitgeber*innen schaffen können. Wie? Das kann ein Lernforum sein, wie Mitarbeitende mit Unsicherheit umgehen. Wir haben zum Beispiel digitale Räume bei Organisationen eingeführt, bei denen sich Personen austauschen können und in denen sie kurze Impulse zum Thema Change-Ability bekommen. Das können Übungen sein, die eigene Veränderungskompetenz im unsicheren Umfeld zu erhöhen. Besonders wichtig ist derzeit der Blick auf die Führungskräfte. Ihnen wird am meisten abverlangt und sie brauchen die größte Unterstützung. Durch Coachings oder durch Peering mit anderen Führungsverantwortlichen, mit denen sie den Umgang mit der Unsicherheit im Führungsalltag besprechen können.
Wie kann man Motivation für Veränderung auf allen Ebenen schaffen?
Da hat Corona die Parameter nicht geändert. Motivation für eine Veränderung erzielen wir dann, wenn der Nutzen der Veränderung größer ist als im Problem zu verharren. Wir sind alle Gewohnheitsmenschen und das Verlassen der Komfortzonen fällt vielen schwer. Warum also verändern? Das muss das Management wirklich gut erklären können und es braucht ein dringend zu lösendes Problem. Wenn dann noch Partizipation dazu kommt, kann es gut werden. Keiner von uns wird gerne verändert. Wenn wir als Mitarbeitende selbst zu Mitgestaltern werden dürfen, dann steigert das die Bereitschaft enorm.
Wie kann ein Unternehmen im Fluss des Change Managements bleiben und nicht an einem Punkt stehen bleiben?
Nun, die Krise hat Bewegung in viele Organisationen gebracht, die vorher im Stillstand oder träge waren. Die Pandemie zeigte, dass es sehr sehr schnell gehen kann, sich verändern zu müssen. Wenn wir uns das Thema Home-Office ansehen, dann hat Corona eine enorme Beschleunigung gebracht. Ich bin zutiefst überzeugt, dass wir nicht in alte Fahrwasser zurückkehren werden. Vielleicht bin ich zu optimistisch oder zu gutgläubig, dass der Stillstand für die Entwicklung eines besseren Miteinanders und einer klimagerechten Zukunft überwunden ist. Die einzigen, die die Energie für Bewegung und für Veränderung stoppen können, das sind wir selbst. Teilweise werden uns Erschöpfungszustände dazu zwingen, inne zu halten. Aber der größere Nutzen, der Sinn – zu neudeutsch Purpose – ist der Antreiber oder Motor, der uns im Fluss hält.