Archiv des Autors: Gerhild Deutinger

Bei uns ist das halt so…

Glaubenssätze in der Organisation

Möglicherweise haben Sie im Coaching von den eigenen inneren Glaubenssätzen gehört, die aus frühen Kindheitserfahrungen stammen: „Perfekt sein“ zu müssen oder für künftig brave Mädchen das Mantra „sei lieb“. Auch Organisationen haben diese Glaubenssätze. Oftmals durch Gründer und Entstehungsgeschichten manifestiert und durch Führungskräfte und langgediente Teammitglieder weitergetragen. Diese organisationalen Glaubenssätze geben die Wertehaltung, die intern gilt, weiter. Und das, ohne verschriftlich zu sein. Es ist eine Art kollektives Gedächtnis bzw. Gespür, das für jedes Teammitglied gilt, und wie ein ungeschriebenes Gesetzesbuch auch exekutiert wird.

Gerade neu hinzukommende Kolleg*innen merken sehr schnell „wie der Hase hier läuft“ und können die internen Kraft- bzw. Hinderungsfelder noch identifizieren, bevor sie ihnen in Fleisch und Blut übergehen. Der ehemalige Personalvorstand der Deutschen Telekom, Thomas Sattelberger, meinte einmal in einem Interview, Mitarbeiter*innen „hätten ein seismographisches Gespür dafür, was von Ihnen erwartet wird.“

Diese Grundannahmen – „so machen wir das eben bei uns“ – können stärken und die Identifikation mit dem Unternehmen festigen. Sie können aber auch überkommen sein, ein Vorwärtskommen bremsen und brauchen dann eine Änderung.

Ungeschriebene Glaubenssatz sichtbar machen

Eine Änderung von Glaubenssätzen ist möglich, braucht aber einen bewussten Anstoß. Idealerweise vom Top-Management; öfter passiert es bei einem Wechsel der Führungsspitze, da dies ein Anlas ist, sich als Organisation zu hinterfragen.

Der erste Schritt ist immer, das Unsichtbare sichtbar zu machen. Also auf die Suche nach den wirksamen, aber unausgesprochenen „Trampelpfaden“ zu gehen. Idealerweise werden viele in diese Suche miteinbezogen, etwa die Führungskräfte im Rahmen einer Klausur. Alleine, zu zweit oder in Kleingruppen werden mögliche Glaubenssätze identifiziert und aufgeschrieben.

Diese erstmals verschriftlichten Sätze oder Annahmen bekommen in einem zweiten Schritt eine Bewertung durch die ganze Gruppe. Die Unternehmensberater von intrinsify schlagen dafür eine 7-stufige Skala von 1 – bei uns nicht stark ausgeprägt – bis 7 – bei uns sehr wirksam und ausgeprägt – vor. Wichtig ist, diesen Schritt noch nicht inhaltlich zu bewerten, ob der Glaubenssatz politisch oder ideologisch gut ist, dass kommt erst nach dieser zahlenmäßigen Einschätzung, die es auch zu begründen und mit Beispielen zu belegen gilt.

„Schweigejahre“: Raus der selbstgemachten Innovationsfalle

Ich hatte in einem Expert*innen-Umfeld mit dem Glaubenssatz zu tun, dass die ersten Jahre als „Lehrjahre“ gelten. Lehrjahre – egal in welcher Position und mit welchem Alter die Person ins Team kam – wurden dort neben dem Zuhören und Lernen vor allem als „Schweigejahre“ verstanden. Eine Person, die „gerade einmal drei Jahre“ dabei war, entschuldigte sich pausenlos für neue Ideen. Interessant, weil die Verweildauer von Vorständen bei knapp über sechs Jahren liegt; das würde heißen, in der ersten Halbzeit wären neuen Vorschläge ungewünscht? Durch das Aufdecken dieses Glaubenssatzes – „neue Teammitglieder schweigt und lernt“ – konnte sich das Unternehmen mit der selbst verursachten Innovationslosigkeit befassen.

Das Aufdecken und die zahlenmäßige Einschätzung von 1 bis 7 hilft in der weiteren Überlegung: Wollen wir den Glaubenssatz beibehalten oder hindert er uns und soll daher geändert werden?

Wenn Sie noch mehr zum Thema Glaubenssätze in Organisationen lesen wollen, empfehlen ich diese umfangreiche Arbeit dazu: Jakob, Ankie Sophie: Organisationale Glaubenssätze. Eine systemische Analyse. In: Müller-Christ, Georg (Hrsg.) E-Schriftenreihe Nachhaltiges Management 2019 | Nr. 1.

Soll ich oder soll ich nicht?

Entscheidungsunsicherheit in der Führung nimmt zu

Natürlich können Sie Gänseblümchen zupfen und sich fragen: Soll ich oder soll ich nicht. Sie können auch untertauchen und warten, bis eine Entscheidung ohne Sie getroffen wird. 55% aller Führungskräfte überlegen das mehr als einmal täglich. Sie sind laut einer Studie von Oracle mit dem Titel „The Decision Dilemma“ (2023) unsicher, wie sie entscheiden oder welchen Weg sie nehmen sollen. 14.000 Führungskräfte in 17 Ländern wurden online befragt und räumten ein, dass sie sich datengestützte Hilfe wünschen (97%). Gleichzeitig meinen 73% der Befragten, dass das mangelnde Vertrauen in Daten sie blockierten. Also noch mehr Dilemma: Selbst entscheiden oder die Daten entscheiden lassen?

In China ist im Unternehmen Fujian Netdragon Websoft zumindest diese Entscheidung gefallen. Seit August 2022 wird der asiatische Konzern von einer künstlichen Intelligenz geleitet. Die KI-Chefin wird Tang Yu genannt, hat eine 168 Stunden-Woche und analysiert Daten. Auf dieser Basis soll sie faire und transparente Entscheidungen fällen – vorausgesetzt ihr Algorithmus wurde vorurteilsfrei programmiert.

Einen Vorteil hat die KI allemal: sie ist schneller und zweifelt weniger. Denn laut der erwähnten Oracle-Studie hat die Quantität überproportional zugenommen: die Zahl täglicher Beschlüsse habe sich in drei Jahren verzehnfacht, gaben 60% der Führungskräfte an. Aber ist nicht gerade ein gesunder Zweifel manchmal auch etwas Gutes? Nicht sofort dem Kopf oder dem Bauch nachgeben und nochmals drüber schlafen bzw. Menschen aus der Organisation konsultieren, die ebenso eine Meinung haben? Manchmal braucht es nämlich auch Führung, die zuhört statt Schnellschüsse abgibt. Denn 93% der Befragten wissen: Die Entscheidungsintelligenz von Führungskräften ist ausschlaggebend für den Organisationserfolg. Oder wie es Stefan Titscher in seinem Buch „Entscheidungen: umsetzen“ ausdrückte: EE = f (EQxIQ). Wenn Sie wissen wollen, was die Formel bedeutet lesen Sie unseren Artikel:
Nicht-Entscheidungen: Kopfkino in Organisationen

Eine Runde Poker-Spielen

Und damit bessere Entscheidungen treffen

Kennen Sie eine der größten Hürden guter Entscheidungen? Die Klärung der Frage: Wer trifft die Entscheidung eigentlich bzw. wer sollte sie treffen.

In Organisationen kommen uns immer wieder Sätze unter wie „Meine Mitarbeitenden trauen sich nicht, Entscheidungen zu treffen“ oder „Warum dürfen wir eigentlich nicht mitentscheiden“ oder „Die da oben sollen sich mal endlich entscheiden“. Die Bandbreite ist beliebig, wer den Hut der Entscheidungsverantwortung aufhat oder haben sollte.

Das Spiel „Decision Poker“ (manchmal auch als Delegation Poker tituliert) nimmt sich genau dieses Themas an und wir setzen es im Führungskräfte-Coaching regelmäßig ein. Je nach Wunsch und Spieleanbieter ergeben sich sechs bis neun unterschiedliche Spielkarten, die die Art und die Verantwortung der Entscheidung abbilden. Stufe 1 kann eine Einzelentscheidung auf Top-Führungsebene sein, Stufe 2 eine vorhergehende Beratungsrunde von Expert*innen, bevor die Top-Führungsebene entscheidet. Auf den nachfolgenden Stufen erweitert sich der Kreis jener, die mitentscheiden oder an die ein Fall delegiert wird: das kann durch ein Teamveto gehen oder – bei einer Entscheidung durch das Team – ein Führungsveto. Ein spannender Zugang könnte auch die Erhebung der Widerstandspunkte statt der Zustimmung sein, wie Sie im Artikel „Konsent statt Konsens“ nachlesen können. Auf der jeweils letzten Stufe übernimmt das Team, das betroffen ist, autonom die Entscheidungshoheit.

Es gibt mehr als eine Art zu entscheiden

Es ist für viele Führungskräfte schon augenöffnend, diese vielen Optionen, wie Entscheidungen getroffen werden können, zu sehen. Denn nicht alles muss allein im stillen Kämmerlein ausgebrütet werden.

Beim Spielverlauf geht es nun darum, pro Entscheidungsfall zu überlegen, welche Stufe hierfür angemessen ist. Dazu bekommt jeder Mitspielende ein gleiches Kartenset und die Erklärung des jeweils zu bestimmenden Falls. Das kann von der Aufnahme neuer Teammitglieder reichen, über Ort und Ablauf des Betriebsausfluges oder die Anschaffung bestimmter Geräte für Videocalls. Pro Fall überlegt jeder Mitspielende, wie die Entscheidung zu treffen wäre und legt eine Karte mit der entsprechenden Ziffer verdeckt vor sich hin.

Nun werden die Karten aufgedeckt und die Ziffern verglichen. Jene mit der höchsten Abweichung beginnen, ihre Einschätzung zu erklären, bis alle Meinungen reihum gehört sind. In der Folgediskussion einigt sich das Spieleteam (oder das echte Projektteam) auf die Art, wie in diesen Fällen künftig zu entscheiden sein wird. Im Idealfall wird das gleich auf ein Decision Board geschrieben, damit es dokumentiert und für neue Mitglieder einsichtig wird.

Mehr zum genauen Spielverlauf von Jürgen Appelo und seinem Buch “Management 3.0: Leading Agile Developers, Developing Agile Leaders bzw. unter diesem Link: https://management30.com/practice/delegation-poker/

Von D&I zu DEIB – neue Diversitäts-Sichtweisen

Diversity & Inclusion reichen nicht aus, um allen Mitarbeitenden das gute Gefühl zu geben, mit allen Stärken und Besonderheiten bei ihrem Arbeitgeber anzukommen. So beschrieb Sara Riedl, Expertin für Peoplemanagement aus dem Silicon Valley, am 7. September 2023 beim 14. Frühstücks-Salon von Gerhild Deutinger und Martina Friedl, die Entwicklung des Themas. Die Erweiterung „DEIB“ umfasst mehr: das E steht für Equity, Gerechtigkeit bzw. Fairness, und „B“ als Abkürzung von Belonging bedeutet Zugehörigkeit; D+I bleiben. Das Gefühl – auch als unterrepräsentierte Gruppe – dazuzugehören, Teil der größeren Gemeinschaft zu sein, führt zu einem Wandel Richtung psychologischer Sicherheit. Und diese ermöglicht es jedem und jeder, sich optimal einzubringen.

Worin liegt der Vorteil dieses erweiterten sprachlichen Diversitäts-Begriffs? Er geht aus unserer Sicht weg von den Anstrengungen jener Stellen, die sich seit vielen Jahren um Geschlechtergerechtigkeit, gleiche Bezahlung bei gleicher Arbeit oder Anerkennung von Menschen mit Beeinträchtigung kümmern. Empowerment von Frauen hat beispielsweise oft noch den Touch, dass Frauen (von Expert*innen) ermächtig werden müssen. Zugehörigkeit nimmt den Druck weg, dass einzelne Stellen oder Personen in der Organisation für die Inklusion verantwortlich sind – und nimmt gleichzeitig alle in die Pflicht. Für ein integratives Arbeitsumfeld, in dem alle ihre Stärken und Besonderheiten einbringen können, sind alle verantwortlich. Unabhängig von Hierarchie, Dauer der Unternehmens-Zugehörigkeit oder Stellenprofil. Natürlich braucht es weiterhin Guidelines und integrative Einstellungspolitik – doch mit dem „E“ und vor allem dem „B“ wird das Thema Arbeitsplatz und Organisationsumfeld für alle zu einem Thema für alle.

Das neue Normal in den USA: Neuro-Diversität im Tech-Umfeld

Sara Riedl, die beruflich der Technologiebranche nahesteht, berichtete weiters über den offenen Zugang in den USA mit den Themen ADHS, Asperger oder anderen Autismus-Formen. Unternehmen würden dies – im Gegensatz zu Europa – nicht als „Behinderung“, sondern als Chance sehen. Sie bieten Mitarbeitenden an, die für sie individuell optimale Arbeitsumgebung in Bezug auf Lärm, Licht oder Auszeiten während des Tages zu schaffen. Das führte während unserer Veranstaltung zu diesem wunderbaren Chat-Eintrag, für den ich mich ganz besonders bedanken möchte: „Ganz lieben Dank. Der Salon hat mich vor allem bestärkt, das Thema wieder zu fokussieren… und die Superkräfte von Menschen zu sehen.“

Mehr über Sara Riedl erfahren Sie auf ihrer Website.

Schutzschirm Organisationskultur

Die Organisationskultur ist schon lange kein so genannter „weicher“ Faktor mehr. Sie ist ein zentraler Faktor, damit sich Fachkräfte oder junge Leute für ein Unternehmen und gegen ein anderes entscheiden. Sie ist ein weiterer Faktor, um Mitarbeitende zu binden und zu Mehrleistung, wenn etwa eine Transformation ansteht, zu bewegen. Und sie ist – wie der deutsche Unternehmensberater Winfried Berner in seinem Buch „Cultural Change“ wunderbar ausführt – der Unterschied in harten wirtschaftlichen Zahlen. Mehr zur Unternehmenskultur von W. Berner lesen Sie hier: Unternehmenskultur

Kultur in der Organisation ist immer – selbst dann, wenn sie nicht gesteuert und gebildet wird. Es ist die Art, wie am Morgen die Begrüßung unter den Mitarbeitenden und zu den Führungskräften stattfindet, wie die Meetings gestaltet sind, wer wann was sagen oder eben nicht sagen, anmerken oder kritisieren darf. Es ist das Gefühl, mit Freude oder Ärger den Arbeitstag zu verbringen und auf Unternehmensgegenstände Wert zu legen oder achtlos mit dem Eigentum umzugehen.

Gerade in Zeiten der Unsicherheit suchen Mitarbeitende nach Sicherheit und Stabilität. Die Organisationskultur kann einer dieser Haltegriffe sein, die ergriffen werden, wenn das Boot schaukelt. Organisationskultur ist verlässlich; sie ist berechenbar. Und damit ist sie auch manchmal ein Hindernis, wenn der vermeintliche Schutzschirm nicht mehr passt oder zeitgemäß ist.

Eine Kultur zu ändern ist hart. Das hat der US-amerikanische Ökonom Peter Drucker wunderbar im Zitat „Culture east strategy for breakfast“ zusammengefasst. Eine Kultur ist stärker als jede Strategie oder jeder Strategiewechsel. Kultur ist das unsichtbare Band, das in den Organisationen die Vergangenheit mit der Gegenwart verbindet. Sie ist die DNA der Organisation, die in Geschichten und Anekdoten lebt.

Aber sie ist änderbar! Mit den Menschen, die sie leben, und wenn die neue Kultur einen passenden besseren Schutzschirm bildet. Denn die alte Kultur weggenommen und alle im Regen stehen lassen, das befeuert nur die Wehmut, dass früher alles besser war.

Killt KI die IK?

Hand aufs Herz: Haben Sie in den vergangenen Monaten nicht auch schon ChatGPT oder ein anderes Programm etwa für die Erstellung von Bildern genutzt? Und wie war es? Meine Erfahrungen bei klassischen Textsorten wie einem Beschwerdebrief nach einem Flugausfall oder einem LinkedIn-Posting waren geradezu wunderbar: zeitsparend, sprachlich einwandfrei, präzise.

Heißt das nun, dass KI-Software die Texte formulieren kann, die interne Kommunikation übernimmt? Sie könnte ähnliche und passende Beiträge für verschiedene Mitarbeitermedien verfassen. Daraus Interview-Fragen und Antworten für einen Podcast erzeugen oder das Vorstandsbriefing für die kommende Town-hall-Veranstaltung schreiben. Denn Inhalte gibt es in den meisten Organisationen mehr als genug – die Aufbereitung wäre mit KI-Systemen deutlich schneller. Und die Gatekeeper-Funktion würde doch nicht wegfallen, denn Texte müssten weiterhin gelesen und freigegeben werden.

Aus meiner Sicht erlaubt die KI der internen Kommunikationsstelle eine Re-Positionierung. Die Zeitersparnis könnte sie bewusst nutzen. Etwa, um an neuen Konzepten zu arbeiten, die oft ewig in Schubladen stecken, wie echtes Employer Branding. Endlich Zeit, mit dem Management Board über Organisationskultur nachzudenken und neue Schritte zu wagen. Endlich das alte Intranet über Bord werfen und Formate testen, die es noch nie gab. Oder die Fehlerkultur des Unternehmens endlich verbessern… Themen gibt es für die IK genug. Mein Appell an alle IK-Verantwortlichen: Traut Euch, die KI zu nutzen, um Eurer Abteilung oder Stabsstelle den Wert zu geben, die sie haben sollte: strategisch, steuern und vorausblickend.

Übrigens: Ich habe mir auch einen Artikel zu diesem Thema „KI und IK“ vorschlagen lassen. Er hat mir aber nicht gefallen; zu allgemein, zu zaghaft. Daher mussten Sie meine Meinung zum Thema lesen.

Die „Langweile-Stunde“ mit Tristan Horx, Florian Klenk und Anna Baar

Wir waren Teil der COOL-Biennale 2023 zum Thema 21st Century Skills. Zwei Tage – bei der öffentlichen Abendveranstaltung und bei Workshops am Folgetag Ende März 2023 – haben wir mit mutigen, offenen und inspirierenden Pädagog*innen aus Österreich, Deutschland und Italien diskutiert (alle Facebook-Beiträge hier ). Tristan Horx, Zukunftsforscher der Generation Y, hat mit uns im Austausch die Langeweile-Stunde erfunden: Wie kommt mehr Kreativität in die Bildung? Durch Reduktion von digitalen Ablenkungen, durch Fokussierung und durch Nichts-Tun. Wie dieses Nichts-Tun unterstützt werden kann und in der Praxis wirklich abläuft, da sind wir gespannt. Rund 150 Teilnehmende können diese Idee in ihren Stundenplan aufnehmen und werden berichten.

Anna Baar, Trägerin des Großen Österreichischen Staatspreises, hat uns bei der COOL-Biennale die Fiktion der Literatur als Chance für das Erkennen und Erkunden der Realität erklärt. Während Florian Klenk, Chefredakteur der Wochenzeitung Falter launig und mit guten Geschichten ein Plädoyer für das analoge Erkunden hielt. Seine Ideen, das Innere des Schulraumes ins Außen zu transferieren wird heute von COOL vielfach schon gelebt und er war über das Andocken an diese für ihn noch unbekannte Welt der Bildung mehr als beeindruckt. So wie ich – und daher freue ich mich besonders, seit 2022 im COOL-Fachbeirat und damit an „Board“ sein zu dürfen.

Wie verändert sich Veränderungskommunikation?

Die Kärntner Wirtschaft interviewte im März 2023 Gerhild Deutinger als Change Kommunikations-Expertin. Hier finden Sie das Interview im Volltext.

Veränderung ist das neue Normal. Aber warum fällt es uns so schwer, im Betrieb darüber zu sprechen? Was sind dabei die größten Hürden und Ängste?

Veränderung verursacht Stress. Stress wiederum führt zu einem Mehr an psychischen und physischen Belastungen. In Deutschland wird das von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin auch regelmäßig ausgewertet. Schon 2012 und wieder im Stressreport 2019 wird der Zusammenhang von Wandlungsprozesses mit Beeinträchtigungen von Wohlbefinden und Gesundheit belegt. Manfred Spitzer, ein deutscher Neurowissenschafter, hat es einmal auf den Punkt gebracht: Was auch immer man an Symptomen betrachtet, bei Umstrukturierungen hat man mehr davon!  Und zwar von Symptomen wie Kopf- und Rückenschmerzen, Müdigkeit, Nervosität oder Niedergeschlagenheit.

Das betrifft ganz viele in den Betrieben und Organisationen, nicht nur die „klassischen“ Mitarbeitenden, die die Auswirkung einer Veränderung vorrangig spüren. Das betrifft vor allem die Führungskräfte. Sie fühlen sich zu einem großen Teil für ihre Teams und die Menschen im Betrieb verantwortlich. Ein „beliebter“ Schutzmechanismus heißt: Je weniger die Mitarbeitenden von Wandelideen wissen, desto weniger Stress und desto besser das Teamklima. Leider ist das ein Trugschluss. Denn mit Veränderungen wie mit Gewittern: man spürt sie lange bevor die erste Regentropfen fallen. Und deshalb muss Kommunikation früh ansetzen.

Haben Pandemie, Fachkräftemangel und Digitalisierung die Kommunikation über Veränderung verändert? Was ist heute nicht mehr zeitgemäß?

Wir erleben mehr und mehr reflektierende Unternehmen, die jetzt, postpandemisch sagen: Setzen wir uns zusammen. Reden wir über unsere Lernkurven aus der Corona-Krise und planen wir die bevorstehenden Herausforderungen – vor allem das Generationen- und Übergabemanagement –gemeinsam. In koordinierten Prozessen können wir das Wissen vieler anzapfen und mehr als nur eine Lösung finden. Ich sehe vielfach, dass die Krise als Chance, neu intern zu interagieren, genutzt wird. Ist das nicht eine wunderbare Entwicklung?!

Wenn Sie mich fragen, was nicht zeitgemäß ist: die digitale Transformation legt aus meiner Change-Sicht den Schwerpunkt zu sehr auf das Digitale und zu wenig auf die Transformation. Ich habe vor kurzem einen Betrieb begleitet, der ein digitales Tool zur erstmaligen Arbeitszeiterfassung eingeführt hat. Aus der „IT- und Digital-Brille“ kann man eine solche Veränderung wunderbar in den Sand setzen.

Worauf müssen Betriebe heute in der Kommunikation von Veränderungen achten? Was sind No-Gos (wenn Mitarbeitende zum Beispiel über Social Media von Veränderungen erfahren oder Kündigung per Videocall?)

Tatsächlich habe ich es in 23 Jahren Veränderungsbegleitung noch nie erlebt, dass ein Unternehmen die Mitarbeitenden per Video gekündigt hat. Ich erlebe vielmehr Unternehmensführende, die sehr bedacht und umsichtig sind, was Freisetzungen betrifft und vorher viele Ideen abwägen. Allerdings: jede Veränderung ist von Gerüchten begleitet und diese finden heute auf Social Media ihren Ausdruck. Das bedeutet, dass Mitarbeitende über Medien von außen durchaus mehr erfahren als von innen. Daher spielt mein Thema Change Kommunikation heute eine besonders große Rolle: Wie gestalte ich einen offenen, transparenten, vertrauensbildenden Kommunikationsprozess, wenn die Parameter der Veränderung noch nicht klar sind und gleichzeitig die Geschwindigkeit der Gerüchtebörse exponentiell steigt?

Wenn Sie mich nach den No-Gos fragen: Veränderung klein reden, subjektive Gefühle von Bedrohung lächerlich machen oder die Schuld der Veränderung auf andere schieben oder gar nicht kommunizieren, das geht nicht. Eine Veränderung zu managen, heißt auch, die Emotionen der Betroffenen zu managen. Egal, ob diese überbordend oder gefühlt unangemessen sind.

Homeoffice und Vier-Tage-Woche. Wie schafft man es als Unternehmen nicht die Vertrauensbindung zu seinem Team zu verlieren? Ihr Tipp für die Praxis?

Das ist in der Tat eine der größten Herausforderungen aktuell. Durch Home-Office „verschwindet“ ein Teil der Belegschaft und ist nicht mehr sichtbar. Gleichzeitig nimmt die Teilzeit zu und es werden mehr und mehr „Köpfe“. Wir beraten bereits Unternehmen, die zu 95% aus Teilzeitkräften bestehen, weil die Arbeit belastend und die Nachfrage nach verkürzter Arbeitszeit hoch ist. Von der Idee, dass wir am Standort ein Team in Präsenz vorfinden, das gemeinsam motiviert den Regelbetrieb stemmt und neue Herausforderungen löst, werden sich in den kommenden Jahren nahezu alle Organisationen verabschieden müssen. Die Themen Bindung, Loyalität, Team-Spirit werden aber nicht weniger – ganz im Gegenteil. Das wird Aufgabe der Führung sein, hier neue Konzepte auszuprobieren. Wir sind gerade dabei, mit einem Team, das 30 Teilzeitkräfte statt 12 Vollzeit-Äquivalente hat, an neuen Strukturen und an ganz neuen Kommunikationssetting für die Schnittstellen und den informellen Austausch zu arbeiten. Es braucht noch mehr Kommunikation und Führung, die Experimente zulässt.

Was wäre Ihnen zu dem Thema noch wichtig?

Ob ein Wandel, eine Transformation, eine Restrukturierung oder eine Fusion gelingt, ist von den Führungskräften der Organisationen abhängig – und zwar auf allen Ebenen! Wenn sie es schaffen, die Problemlagen rechtzeitig zu erkennen, Visionen zu teilen, Pfade ins Neue aufzuzeigen und ihre jeweiligen Leute mitzunehmen, dann funktioniert Veränderung. Das ist ein Fulltime-Job! Vielfach sind Führungskräfte aber mit 1.000 Kleinigkeiten befasst und nehmen den Change „nebenbei“ wahr. Das ist der Grund, warum bis zu 7 von 10 Veränderungsvorhaben scheitern.

Eine Kurzversion in der Kärntner-Wirtschaft finden Sie hier:

Ver-Bindung tut gut

Wir sind soziale Wesen. Im Home-Office, im Vor-Ort-Büro, bei Verhandlungen, bei Projekten. Egal ob analytisch, kreativ oder durchsetzungsstark im Tun. Wenn wir das Gefühl haben, mit anderen eine gute, stabile und vertrauensvolle Ver-Bindung zu haben, dann sind viele von uns auch leistungsbereiter. Wenn wir uns an Kolleg*innen und Führungskräfte ge-bunden fühlen, dann macht es einfach Spaß, gemeinsam Probleme zu knacken oder auch mal eine Extrarunde zu drehen.

Leistungen und Engagement brauchen ein Beziehungsgefüge, das in der hybriden Arbeitswelt neu gedacht werden muss. Denn Ver-Bindung stellen wir nicht per Mail her. Wir brauchen den Augenkontakt und das Spüren, wie der oder die andere „tickt“. Wir wollen wissen, wie nah oder weit unsere Wertehaltung zueinander ist. Und wir lieben Lachen ebenso wie Lästern.

Die neue Teamstabilität braucht noch mehr Verbundenheit, weil viele Teams nicht mehr in voller Personalgröße von Montag bis Freitag zusammenkommen. Bei 20 bis 40% Home-Office-Zeit sehen wir immer nur einen Teamausschnitt. Gerade deshalb sollten Führungspersonen besonders auf Zeiten achten, zu denen allen sich formell wie informell sehen und erleben können – nicht nur am jährlichen Teamtag.

Die Frage „Wie stellen wir in hybriden Zeiten Verbundenheit im Team her“ kann durchaus auch mit und im Team gestellt und beantwortet werden. Gemeinsame Überlegungen haben eine ganz besonders gute Auswirkung auf Teamkulturen und ermöglichen, dass sich der und die Einzelne als Mitgestalter*in für das neue Normal empfindet.

Mehr dazu finden Sie auch in unserem Artikel Emotionale Verbundenheit

Emotionale Verbundenheit

Feed-forward statt Feed-back

Mit dem Feed-back-Geben ist das so eine Sache: Entweder kommen Botschaften nur „weichgespült“ an, weil sie mit Lob und Bestätigung aufgeladen wurden. Oder sie werden als Kritik empfunden und manch ein*e Empfänger*in reagiert ablehnend. Falsch aufgesetzte Feed-backs können die Beziehungsebene zwischen Teammitgliedern belasten.

Organisationen und Teams müssen aus meiner Erfahrung schon sehr gut aufeinander eingestimmt sein, damit Feed-backs als ein konstruktives Entwicklungsinstrument funktioniert. Feed-backs brauchen Zeit, Wiederholdung und die Bereitschaft aller, sich auf Rückmeldungen einzulassen. Sie verlangen die Kunst des aktiven Zuhörens und der Reflexionsfähigkeit. Und nicht jede Methode funktioniert in jedem Team: Manche Teams können mit 360 Grad-Feed-backs von mehreren Personen für ein Teammitglied gut umgehen, anderen ist das zu offen und sie schätzen bilaterale Rücksprachen umso mehr. Eine Feed-back-Methode für ein Team namens „Retrospektive“ finden Sie in diesem früheren Artikel von uns.

Die Kritik, die ich (und der Gründer der 360-Grad-Feed-backs Dr. Marshall Goldsmith) an Feed-backs haben: Sie beziehen sich auf das Gewesene und verstärken die Muster der Vergangenheit. Um ins Morgen zu kommen, helfen Feed-forwards, also Empfehlungen an die Zukunft. Voraussetzung dafür ist, dass jedes Teammitglied für sich selbst eine Veränderung definiert hat, die es in den kommenden Monaten erreichen wollen würde. Das Team hilft mit Vorschlägen, diese Veränderung zu erzielen. Mehr Details zur Durchführung über Feed-forwards lesen Sie hier.

Eine schöne Methode, um Muster aus der Vergangenheit zu durchbrechen und für die Zukunft neue zu entwickeln, hat die deutsche Unternehmensberaterin Claudia Thonet gefunden: Sie nennt sie die „Plus-Plus-Methode“. Dabei geht es um ein Reframing möglicher Kritikpunkte und um das Ansprechen, welches konkrete Verhalten in Zukunft gewünscht ist. Reframing bedeutet „Umdeuten“ – Sie geben dem, was Sie sehen oder was Sie ärgert eine „neuen Rahmen“.

Statt sich über die Sturheit des jungen Mitarbeiters oder über die „Gluckenhaftigkeit“ der längstdienenden Mitarbeiterin zu ärgern, freuen Sie sich über seine Fähigkeit, ausdauernd an Dingen dranzubleiben, und über ihre Motivation, für eine gute Integration aller Teammitglieder zu sorgen.

Das Reframing wird im ersten Teil dieser Rückmeldungs-Methode angewendet und sie geht noch weiter. Im zweiten Teil wird ein Wunsch, „was noch zusätzlich“ relevant wäre, angesprochen. Im Fall unseres fiktiven Mitarbeiters könnte das lauten: „Ich finde Deine Ausdauer im Projekt bewundernswert und diese wünsche ich mir, wenn Du einmal pro Woche die Befindlichkeiten im Team aktiv ansprichst, reflektierst und in Deine Arbeit einbaust.“ Oder im Fall der oben beschriebenen Mitarbeiterin: „Ich bewundere, wie wichtig Dir das Wohlergehen aller ist und bitte Dich um eine Weiterentwicklung dieser Stärke: Wohlergehen heißt auch, dass junge Kolleg*innen eigene Fehler machen dürfen und die Arbeit anders machen als sie bisher gemacht wurden.“

Der erste Teil, also das erste Plus bezieht sich auf eine Stärke des Mitarbeitenden. Der zweite Teil, das Plus-Plus, auf deren künftigen Einsatz.