Archiv der Kategorie: Change & Kommunikation

Sommer, Hitze, Austausch

Fünf Jahre Team Breite Gasse. 15 Salongespräche vorwiegend als digitale Frühstückseinladungen. 50 gemeinsame Termine von Martina Friedl und mir zu Diversität, Führung und Change. Das alles und mehr feierten wir bei 28 Grad am 25. Juni 2024. Ein Kommen und Gehen von Kund*innen, Partner*innen, früheren Mitarbeitenden und Freund*innen – es war wunderbar.

Ein paar Impressionen dazu finden Sie hier und in diesem Artikel: „Wenn Zufriedenheit an erster Stelle steht“

Vom Change Agent bis zum SuperUser

Was macht ein Change Agent eigentlich und was ein SuperUser? Zwei Begriffe aus dem Change Management, die für die Akzeptanz von Veränderungen sorgen können.

Vom wem holen Sie sich bei Veränderungen Informationen? Von der Organisationsspitze, aus dem Intranet oder gehen Sie der Gerüchtebörse nach? Alle, die mit Change Kommunikation zu tun haben, wissen, dass es zwei „Best-of“-Wege für Mitarbeitenden gibt: der*die direkt Vorgesetzte und den Flurfunk. Gerade letzteres dem Zufall zu überlassen, ist fahrlässig und kann ganz einfach auf eine organisierte, strukturierte Ebene gehoben werden.

Change-Agents sind ausgewählte Mitarbeiter*innen der Organisation, die vom Wandel direkt betroffen sind. Sie kommen aus unterschiedlichen Bereichen der Organisation, aus verschiedenen hierarchischen Lagern und bilden im Idealfall die Organisation repräsentativ ab. Ihre Aufgabe ist es, in einem Wandelvorhaben für einen begrenzten Zeitraum die Kommunikationsabteilung zu unterstützen, für Sorgen erste Ansprechpersonen zu sein und Fragen aufzunehmen, die die Belegschaft umtreiben. Sie haben in der eigenen Peergroup die größte Akzeptanz. Sie dürfen durchaus auch aktiv ihr eigenes Umfeld ansprechen und Sorgen – natürlich anonym – aufnehmen.

Gerade in der Repräsentativität der Organisation liegt die Stärke dieses Tools: Lehrlinge sprechen mit Lehrlingen, Mitarbeitende in Altersteilzeit mit jenen, die in der gleichen Phase sind. Eine örtliche Nähe kann ebenso hilfreich sein, daher sind Change Agents auch nicht nur in den Headquarters einzusetzen, sondern gerade auch in Filialen und weiteren Niederlassungen. Diese Personen haben für uns eine weitaus höhere Glaubwürdigkeit als jede andere Kommunikationsform, denn Menschen aus dem gleichen Kreis haben die gleichen Erfahrungen gemacht, haben die gleichen Sorgen oder Vorfreuden und verstehen die Bedürfnisse.

SuperUser werden in der digitalen Transformation häufig eingesetzt. Das sind Personen, die zusätzlich zu ihrer eigenen Aufgabe in Programmen oder im Handling neuer Technologien besonders geschult werden. Sie erhalten Trainings und eine Vorbereitung, um bei Fragen aus dem Team unterstützen zu können. Mit viel technologischem Wissen ausgestattet, helfen sie bei Unsicherheit, bei Anwendungsproblemen oder erklären einfach die neuen Schritte in ihrem Team, an ihrem Standort und zu ihren Kolleg*innen nochmals.

„Für die Realisierung der digitalen Pflegedokumentation in der NÖ Landesgesundheitsagentur wurden SuperUserInnen und KeyUserInnen geschult“, erklärt Sabine Lechner, Leiterin des Department Entwicklung, Strategie und Qualität Langzeitpflege (PBZ, PFZ) bei einem Sommersalon im impulsbüro am 25. Juni 2024. „Das sind Pflegekräfte, die sich freiwillig gemeldet haben, die technisch geschult wurden und Kolleg*innen helfen. Bei jeder Frage zur digitalen Pflegedokumentation versuchen zunächst die SuperUser*innen eine Antwort zu geben. Wissen sie nicht weiter, leiten sie die Fragen an die KeyUser*innen, Personen, die ebenso in der Langzeitpflege tätig sind. Erst wenn auch hier die Unklarheit weiter besteht, wird die Softwarefirma befragt.“

Und wie wird man Change Agent, SuperUser oder KeyUserin? Sabine Lechner berichtet, dass sie diese Frage ganz einfach löst: „Wir fragen einfach offen alle in einem Aufruf, wer möchte diese Funktion erfüllen. Und es ist ganz großartig, dass wir immer mehr Bewerbende haben, als wir brauchen.“

Bei uns ist das halt so…

Glaubenssätze in der Organisation

Möglicherweise haben Sie im Coaching von den eigenen inneren Glaubenssätzen gehört, die aus frühen Kindheitserfahrungen stammen: „Perfekt sein“ zu müssen oder für künftig brave Mädchen das Mantra „sei lieb“. Auch Organisationen haben diese Glaubenssätze. Oftmals durch Gründer und Entstehungsgeschichten manifestiert und durch Führungskräfte und langgediente Teammitglieder weitergetragen. Diese organisationalen Glaubenssätze geben die Wertehaltung, die intern gilt, weiter. Und das, ohne verschriftlich zu sein. Es ist eine Art kollektives Gedächtnis bzw. Gespür, das für jedes Teammitglied gilt, und wie ein ungeschriebenes Gesetzesbuch auch exekutiert wird.

Gerade neu hinzukommende Kolleg*innen merken sehr schnell „wie der Hase hier läuft“ und können die internen Kraft- bzw. Hinderungsfelder noch identifizieren, bevor sie ihnen in Fleisch und Blut übergehen. Der ehemalige Personalvorstand der Deutschen Telekom, Thomas Sattelberger, meinte einmal in einem Interview, Mitarbeiter*innen „hätten ein seismographisches Gespür dafür, was von Ihnen erwartet wird.“

Diese Grundannahmen – „so machen wir das eben bei uns“ – können stärken und die Identifikation mit dem Unternehmen festigen. Sie können aber auch überkommen sein, ein Vorwärtskommen bremsen und brauchen dann eine Änderung.

Ungeschriebene Glaubenssatz sichtbar machen

Eine Änderung von Glaubenssätzen ist möglich, braucht aber einen bewussten Anstoß. Idealerweise vom Top-Management; öfter passiert es bei einem Wechsel der Führungsspitze, da dies ein Anlas ist, sich als Organisation zu hinterfragen.

Der erste Schritt ist immer, das Unsichtbare sichtbar zu machen. Also auf die Suche nach den wirksamen, aber unausgesprochenen „Trampelpfaden“ zu gehen. Idealerweise werden viele in diese Suche miteinbezogen, etwa die Führungskräfte im Rahmen einer Klausur. Alleine, zu zweit oder in Kleingruppen werden mögliche Glaubenssätze identifiziert und aufgeschrieben.

Diese erstmals verschriftlichten Sätze oder Annahmen bekommen in einem zweiten Schritt eine Bewertung durch die ganze Gruppe. Die Unternehmensberater von intrinsify schlagen dafür eine 7-stufige Skala von 1 – bei uns nicht stark ausgeprägt – bis 7 – bei uns sehr wirksam und ausgeprägt – vor. Wichtig ist, diesen Schritt noch nicht inhaltlich zu bewerten, ob der Glaubenssatz politisch oder ideologisch gut ist, dass kommt erst nach dieser zahlenmäßigen Einschätzung, die es auch zu begründen und mit Beispielen zu belegen gilt.

„Schweigejahre“: Raus der selbstgemachten Innovationsfalle

Ich hatte in einem Expert*innen-Umfeld mit dem Glaubenssatz zu tun, dass die ersten Jahre als „Lehrjahre“ gelten. Lehrjahre – egal in welcher Position und mit welchem Alter die Person ins Team kam – wurden dort neben dem Zuhören und Lernen vor allem als „Schweigejahre“ verstanden. Eine Person, die „gerade einmal drei Jahre“ dabei war, entschuldigte sich pausenlos für neue Ideen. Interessant, weil die Verweildauer von Vorständen bei knapp über sechs Jahren liegt; das würde heißen, in der ersten Halbzeit wären neuen Vorschläge ungewünscht? Durch das Aufdecken dieses Glaubenssatzes – „neue Teammitglieder schweigt und lernt“ – konnte sich das Unternehmen mit der selbst verursachten Innovationslosigkeit befassen.

Das Aufdecken und die zahlenmäßige Einschätzung von 1 bis 7 hilft in der weiteren Überlegung: Wollen wir den Glaubenssatz beibehalten oder hindert er uns und soll daher geändert werden?

Wenn Sie noch mehr zum Thema Glaubenssätze in Organisationen lesen wollen, empfehlen ich diese umfangreiche Arbeit dazu: Jakob, Ankie Sophie: Organisationale Glaubenssätze. Eine systemische Analyse. In: Müller-Christ, Georg (Hrsg.) E-Schriftenreihe Nachhaltiges Management 2019 | Nr. 1.

Von D&I zu DEIB – neue Diversitäts-Sichtweisen

Diversity & Inclusion reichen nicht aus, um allen Mitarbeitenden das gute Gefühl zu geben, mit allen Stärken und Besonderheiten bei ihrem Arbeitgeber anzukommen. So beschrieb Sara Riedl, Expertin für Peoplemanagement aus dem Silicon Valley, am 7. September 2023 beim 14. Frühstücks-Salon von Gerhild Deutinger und Martina Friedl, die Entwicklung des Themas. Die Erweiterung „DEIB“ umfasst mehr: das E steht für Equity, Gerechtigkeit bzw. Fairness, und „B“ als Abkürzung von Belonging bedeutet Zugehörigkeit; D+I bleiben. Das Gefühl – auch als unterrepräsentierte Gruppe – dazuzugehören, Teil der größeren Gemeinschaft zu sein, führt zu einem Wandel Richtung psychologischer Sicherheit. Und diese ermöglicht es jedem und jeder, sich optimal einzubringen.

Worin liegt der Vorteil dieses erweiterten sprachlichen Diversitäts-Begriffs? Er geht aus unserer Sicht weg von den Anstrengungen jener Stellen, die sich seit vielen Jahren um Geschlechtergerechtigkeit, gleiche Bezahlung bei gleicher Arbeit oder Anerkennung von Menschen mit Beeinträchtigung kümmern. Empowerment von Frauen hat beispielsweise oft noch den Touch, dass Frauen (von Expert*innen) ermächtig werden müssen. Zugehörigkeit nimmt den Druck weg, dass einzelne Stellen oder Personen in der Organisation für die Inklusion verantwortlich sind – und nimmt gleichzeitig alle in die Pflicht. Für ein integratives Arbeitsumfeld, in dem alle ihre Stärken und Besonderheiten einbringen können, sind alle verantwortlich. Unabhängig von Hierarchie, Dauer der Unternehmens-Zugehörigkeit oder Stellenprofil. Natürlich braucht es weiterhin Guidelines und integrative Einstellungspolitik – doch mit dem „E“ und vor allem dem „B“ wird das Thema Arbeitsplatz und Organisationsumfeld für alle zu einem Thema für alle.

Das neue Normal in den USA: Neuro-Diversität im Tech-Umfeld

Sara Riedl, die beruflich der Technologiebranche nahesteht, berichtete weiters über den offenen Zugang in den USA mit den Themen ADHS, Asperger oder anderen Autismus-Formen. Unternehmen würden dies – im Gegensatz zu Europa – nicht als „Behinderung“, sondern als Chance sehen. Sie bieten Mitarbeitenden an, die für sie individuell optimale Arbeitsumgebung in Bezug auf Lärm, Licht oder Auszeiten während des Tages zu schaffen. Das führte während unserer Veranstaltung zu diesem wunderbaren Chat-Eintrag, für den ich mich ganz besonders bedanken möchte: „Ganz lieben Dank. Der Salon hat mich vor allem bestärkt, das Thema wieder zu fokussieren… und die Superkräfte von Menschen zu sehen.“

Mehr über Sara Riedl erfahren Sie auf ihrer Website.

Killt KI die IK?

Hand aufs Herz: Haben Sie in den vergangenen Monaten nicht auch schon ChatGPT oder ein anderes Programm etwa für die Erstellung von Bildern genutzt? Und wie war es? Meine Erfahrungen bei klassischen Textsorten wie einem Beschwerdebrief nach einem Flugausfall oder einem LinkedIn-Posting waren geradezu wunderbar: zeitsparend, sprachlich einwandfrei, präzise.

Heißt das nun, dass KI-Software die Texte formulieren kann, die interne Kommunikation übernimmt? Sie könnte ähnliche und passende Beiträge für verschiedene Mitarbeitermedien verfassen. Daraus Interview-Fragen und Antworten für einen Podcast erzeugen oder das Vorstandsbriefing für die kommende Town-hall-Veranstaltung schreiben. Denn Inhalte gibt es in den meisten Organisationen mehr als genug – die Aufbereitung wäre mit KI-Systemen deutlich schneller. Und die Gatekeeper-Funktion würde doch nicht wegfallen, denn Texte müssten weiterhin gelesen und freigegeben werden.

Aus meiner Sicht erlaubt die KI der internen Kommunikationsstelle eine Re-Positionierung. Die Zeitersparnis könnte sie bewusst nutzen. Etwa, um an neuen Konzepten zu arbeiten, die oft ewig in Schubladen stecken, wie echtes Employer Branding. Endlich Zeit, mit dem Management Board über Organisationskultur nachzudenken und neue Schritte zu wagen. Endlich das alte Intranet über Bord werfen und Formate testen, die es noch nie gab. Oder die Fehlerkultur des Unternehmens endlich verbessern… Themen gibt es für die IK genug. Mein Appell an alle IK-Verantwortlichen: Traut Euch, die KI zu nutzen, um Eurer Abteilung oder Stabsstelle den Wert zu geben, die sie haben sollte: strategisch, steuern und vorausblickend.

Übrigens: Ich habe mir auch einen Artikel zu diesem Thema „KI und IK“ vorschlagen lassen. Er hat mir aber nicht gefallen; zu allgemein, zu zaghaft. Daher mussten Sie meine Meinung zum Thema lesen.

Wie verändert sich Veränderungskommunikation?

Die Kärntner Wirtschaft interviewte im März 2023 Gerhild Deutinger als Change Kommunikations-Expertin. Hier finden Sie das Interview im Volltext.

Veränderung ist das neue Normal. Aber warum fällt es uns so schwer, im Betrieb darüber zu sprechen? Was sind dabei die größten Hürden und Ängste?

Veränderung verursacht Stress. Stress wiederum führt zu einem Mehr an psychischen und physischen Belastungen. In Deutschland wird das von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin auch regelmäßig ausgewertet. Schon 2012 und wieder im Stressreport 2019 wird der Zusammenhang von Wandlungsprozesses mit Beeinträchtigungen von Wohlbefinden und Gesundheit belegt. Manfred Spitzer, ein deutscher Neurowissenschafter, hat es einmal auf den Punkt gebracht: Was auch immer man an Symptomen betrachtet, bei Umstrukturierungen hat man mehr davon!  Und zwar von Symptomen wie Kopf- und Rückenschmerzen, Müdigkeit, Nervosität oder Niedergeschlagenheit.

Das betrifft ganz viele in den Betrieben und Organisationen, nicht nur die „klassischen“ Mitarbeitenden, die die Auswirkung einer Veränderung vorrangig spüren. Das betrifft vor allem die Führungskräfte. Sie fühlen sich zu einem großen Teil für ihre Teams und die Menschen im Betrieb verantwortlich. Ein „beliebter“ Schutzmechanismus heißt: Je weniger die Mitarbeitenden von Wandelideen wissen, desto weniger Stress und desto besser das Teamklima. Leider ist das ein Trugschluss. Denn mit Veränderungen wie mit Gewittern: man spürt sie lange bevor die erste Regentropfen fallen. Und deshalb muss Kommunikation früh ansetzen.

Haben Pandemie, Fachkräftemangel und Digitalisierung die Kommunikation über Veränderung verändert? Was ist heute nicht mehr zeitgemäß?

Wir erleben mehr und mehr reflektierende Unternehmen, die jetzt, postpandemisch sagen: Setzen wir uns zusammen. Reden wir über unsere Lernkurven aus der Corona-Krise und planen wir die bevorstehenden Herausforderungen – vor allem das Generationen- und Übergabemanagement –gemeinsam. In koordinierten Prozessen können wir das Wissen vieler anzapfen und mehr als nur eine Lösung finden. Ich sehe vielfach, dass die Krise als Chance, neu intern zu interagieren, genutzt wird. Ist das nicht eine wunderbare Entwicklung?!

Wenn Sie mich fragen, was nicht zeitgemäß ist: die digitale Transformation legt aus meiner Change-Sicht den Schwerpunkt zu sehr auf das Digitale und zu wenig auf die Transformation. Ich habe vor kurzem einen Betrieb begleitet, der ein digitales Tool zur erstmaligen Arbeitszeiterfassung eingeführt hat. Aus der „IT- und Digital-Brille“ kann man eine solche Veränderung wunderbar in den Sand setzen.

Worauf müssen Betriebe heute in der Kommunikation von Veränderungen achten? Was sind No-Gos (wenn Mitarbeitende zum Beispiel über Social Media von Veränderungen erfahren oder Kündigung per Videocall?)

Tatsächlich habe ich es in 23 Jahren Veränderungsbegleitung noch nie erlebt, dass ein Unternehmen die Mitarbeitenden per Video gekündigt hat. Ich erlebe vielmehr Unternehmensführende, die sehr bedacht und umsichtig sind, was Freisetzungen betrifft und vorher viele Ideen abwägen. Allerdings: jede Veränderung ist von Gerüchten begleitet und diese finden heute auf Social Media ihren Ausdruck. Das bedeutet, dass Mitarbeitende über Medien von außen durchaus mehr erfahren als von innen. Daher spielt mein Thema Change Kommunikation heute eine besonders große Rolle: Wie gestalte ich einen offenen, transparenten, vertrauensbildenden Kommunikationsprozess, wenn die Parameter der Veränderung noch nicht klar sind und gleichzeitig die Geschwindigkeit der Gerüchtebörse exponentiell steigt?

Wenn Sie mich nach den No-Gos fragen: Veränderung klein reden, subjektive Gefühle von Bedrohung lächerlich machen oder die Schuld der Veränderung auf andere schieben oder gar nicht kommunizieren, das geht nicht. Eine Veränderung zu managen, heißt auch, die Emotionen der Betroffenen zu managen. Egal, ob diese überbordend oder gefühlt unangemessen sind.

Homeoffice und Vier-Tage-Woche. Wie schafft man es als Unternehmen nicht die Vertrauensbindung zu seinem Team zu verlieren? Ihr Tipp für die Praxis?

Das ist in der Tat eine der größten Herausforderungen aktuell. Durch Home-Office „verschwindet“ ein Teil der Belegschaft und ist nicht mehr sichtbar. Gleichzeitig nimmt die Teilzeit zu und es werden mehr und mehr „Köpfe“. Wir beraten bereits Unternehmen, die zu 95% aus Teilzeitkräften bestehen, weil die Arbeit belastend und die Nachfrage nach verkürzter Arbeitszeit hoch ist. Von der Idee, dass wir am Standort ein Team in Präsenz vorfinden, das gemeinsam motiviert den Regelbetrieb stemmt und neue Herausforderungen löst, werden sich in den kommenden Jahren nahezu alle Organisationen verabschieden müssen. Die Themen Bindung, Loyalität, Team-Spirit werden aber nicht weniger – ganz im Gegenteil. Das wird Aufgabe der Führung sein, hier neue Konzepte auszuprobieren. Wir sind gerade dabei, mit einem Team, das 30 Teilzeitkräfte statt 12 Vollzeit-Äquivalente hat, an neuen Strukturen und an ganz neuen Kommunikationssetting für die Schnittstellen und den informellen Austausch zu arbeiten. Es braucht noch mehr Kommunikation und Führung, die Experimente zulässt.

Was wäre Ihnen zu dem Thema noch wichtig?

Ob ein Wandel, eine Transformation, eine Restrukturierung oder eine Fusion gelingt, ist von den Führungskräften der Organisationen abhängig – und zwar auf allen Ebenen! Wenn sie es schaffen, die Problemlagen rechtzeitig zu erkennen, Visionen zu teilen, Pfade ins Neue aufzuzeigen und ihre jeweiligen Leute mitzunehmen, dann funktioniert Veränderung. Das ist ein Fulltime-Job! Vielfach sind Führungskräfte aber mit 1.000 Kleinigkeiten befasst und nehmen den Change „nebenbei“ wahr. Das ist der Grund, warum bis zu 7 von 10 Veränderungsvorhaben scheitern.

Eine Kurzversion in der Kärntner-Wirtschaft finden Sie hier:

Ver-Bindung tut gut

Wir sind soziale Wesen. Im Home-Office, im Vor-Ort-Büro, bei Verhandlungen, bei Projekten. Egal ob analytisch, kreativ oder durchsetzungsstark im Tun. Wenn wir das Gefühl haben, mit anderen eine gute, stabile und vertrauensvolle Ver-Bindung zu haben, dann sind viele von uns auch leistungsbereiter. Wenn wir uns an Kolleg*innen und Führungskräfte ge-bunden fühlen, dann macht es einfach Spaß, gemeinsam Probleme zu knacken oder auch mal eine Extrarunde zu drehen.

Leistungen und Engagement brauchen ein Beziehungsgefüge, das in der hybriden Arbeitswelt neu gedacht werden muss. Denn Ver-Bindung stellen wir nicht per Mail her. Wir brauchen den Augenkontakt und das Spüren, wie der oder die andere „tickt“. Wir wollen wissen, wie nah oder weit unsere Wertehaltung zueinander ist. Und wir lieben Lachen ebenso wie Lästern.

Die neue Teamstabilität braucht noch mehr Verbundenheit, weil viele Teams nicht mehr in voller Personalgröße von Montag bis Freitag zusammenkommen. Bei 20 bis 40% Home-Office-Zeit sehen wir immer nur einen Teamausschnitt. Gerade deshalb sollten Führungspersonen besonders auf Zeiten achten, zu denen allen sich formell wie informell sehen und erleben können – nicht nur am jährlichen Teamtag.

Die Frage „Wie stellen wir in hybriden Zeiten Verbundenheit im Team her“ kann durchaus auch mit und im Team gestellt und beantwortet werden. Gemeinsame Überlegungen haben eine ganz besonders gute Auswirkung auf Teamkulturen und ermöglichen, dass sich der und die Einzelne als Mitgestalter*in für das neue Normal empfindet.

Mehr dazu finden Sie auch in unserem Artikel Emotionale Verbundenheit

Emotionale Verbundenheit

Johann und die digitale Transformation

Johann ist Hausmeister. Einer der letzten seiner Zunft.

Seit einiger Zeit hat er ein Tablet, das ihm von der Hausverwaltung übergeben wurde. Er solle damit Schäden an den Gebäuden fotografieren und jeweils ein Ticket für deren Behebung lösen. Johann hat auch einen Kurs besucht und gelernt, wie all die Apps am Tablet zu bedienen sind. Er soll demnächst sogar seine Arbeitszeiten digital eingeben. Leider vergisst Johann das Tablet oft und versucht am Abend mühsam die Daten nachzutragen. „Wo soll ich das Ding denn einstecken, wenn ich arbeite?“, entschuldigt er sich.

Johann, der Hauswart, ist einer der Betroffenen einer digitalen Transformation. Es könnte auch Konstantin, der Rechtsanwalt hier beschrieben sein oder Marlies, die Verwaltungsbeamtin.

Bei Johann hat sich mit dem digitalen Endgerät seine Arbeitswelt verändert ohne, dass er dessen Tragweite erkannte bzw. darüber informiert wurde. Johanns Arbeit, Schäden bei Immobilien zu entdecken, bleibt. Jedoch die Suche nach Handwerkern, die Kontaktaufnahme und deren Koordination fällt weg. Und damit auch viel Kommunikation, wie Preisverhandlungen oder das Plauscherl mit den Handwerkern. Natürlich hat Johann einen Kurs zur digitalen Kompetenzerweiterung bekommen; der Aspekt der Kulturveränderung ist dadurch nicht abgedeckt.

Streichen Sie digital für gute Transformationen

Meine Empfehlung, wenn Sie in oder vor einem Projekt zur digitalen Transformation stehen: Denken Sie die digitale Transformation ohne das Wort „digital“. Transformationen sind dann erfolgreich, wenn Sie Betroffene einbinden, wenn Akzeptanz und Neugierde gefördert werden, wenn Sie Fragen, Sorgen und Befürchtungen im Dialog klären. Digitalisierungsprojekte sollen aus meiner Sicht nicht durch die IT-Brille gesteuert werden, denn sie sind erfolgsabhängig von der Akzeptanz der Betroffenen. Jede digitale Transformation ist zuallererst eine Veränderung, die Unruhe auslöst und erst in zweiter Linie ein technisches Projekt. Denn das Wesen der digitalen Transformation ist Kommunikation.

„Eisessen“ – die Zukunft der informellen Kommunikation

„In der Kaffeeküche spielt die Musik.“

So drückte es der Verständlichkeitsforscher Benedikt Lutz einmal aus und meinte damit, dass an sozialen Orten in den Organisationen Meinungen gebildet und gefestigt werden. Allerdings war das in Pre-Corona-Zeiten. Wo findet dieser informelle Kulturaustausch heute statt? Wo sind in der Welt zwischen Home-Office und Büro die Lager- und Umschlagplätze für die Beziehungsarbeit?

Wenn sich Kolleg*innen kaum mehr zeitlich überschneiden und deshalb keine gemeinsame Mittagspause haben oder die Geburtstagswünsche nur mehr via Mail erhalten, leidet über kurz oder lang das Teamgefüge. Denn gerade in turbulenten Zeiten wie diesen, brauchen wir Bestätigung und das Gefühl von Gemeinsamkeit mehr denn je genauso wie kurze, schnelle Abstimmungen ohne langen Chat-Austausch.

Wie könnte nun die Zukunft der informellen Kommunikation aussehen? Wahrscheinlich werden wir informelle Momente stärker organisieren müssen oder zumindest initiieren, damit sie die Chance haben, sich in einem Team selbst zu organisieren. Das kann, muss aber nicht Aufgabe der unmittelbaren Führungskraft sein. Ab und zu ein Mail mit einer Frage in die Runde wer zum Lunch mitkommt oder am Nachmittag ein Eis im Büro genießen will, kann ein Anstoß sein. Die Aktivität ist natürlich nur für jene relevant, die vor Ort sind, angesprochen sollen aber alle werden. Durch die neuen Regelungen zwischen Standort- und Home-Office-Zeiten ist es wichtig, diese Initiativen zeitlich flexibel zu halten, um jede*n einmal pro Woche zu erreichen. Ein Foto der informellen Aktivität für alle im Team kann Lust auf mehr machen.

Die „Plus“-Ambidextrie

Über die neue Gleichzeitigkeit bei Transformationen

Das Wort „Ambidextrie“ – aus der Medizin kommend, bedeutet, beide Hände gleich gut einsetzen zu können. In Organisationen bedeutet es, sowohl das Kerngeschäft gut abzusichern als auch das Neue, die Innovation voranzutreiben. Soweit noch nichts Neues, seit der Begriff der „Ambidextrie“ vor mehr als 40 Jahren von Charles O’Reilly (Stanford University) und Michael Tushman (Harvard University) in die Wirtschaft eingebracht wurde.

In unserem Frühstücks-Salon am 7. Juni 2022 diskutieren wir im Salon Breite Gasse mit unseren Gästen über neue Beobachtungen zu diesem frühen Begriff. Neu hinzu gekommen ist die Krisen- und Pandemie-Bewältigung, in der aktuell einige Organisationen stecken. Das Lernen aus zwei Jahren Corona ist vielfach noch nicht abgeschlossen. Der Ukraine-Krieg und seine Folge nicht absehbar. Für Führungskräfte bedeutet es, noch mehr Bälle in der Luft zu halten und zwischen Sicherheit-Geben, Unsicherheit-Aushalten und Reflexion zu jonglieren.

Für das Change-Management wird das große Auswirkungen haben, da die Linearität aufgehoben ist und gleichzeitig divergierende Werte und Ansichten in einer Organisation gelten. Veränderungen und Transformationen in Projektstrukturen und Abläufen zu denken, wird überholt sein. Organisationsentwicklerische Ansätze mit vielen Reflexionen und Adaptionen oder auch kurzen Sprints aus dem agilen Management scheinen damit mehr und mehr Einzug ins „klassische“ Change Management zu bekommen.

Was unsere Gäste diskutierten: Die divergierende Werte v.a. bei agilen und digitalen Transformationen brauchen neue Räume. Räume für den Austausch, für Klärungen, für das Sichtbarmachen der Unklarheiten. Es kann durchaus vorkommen, dass bisherige Prozesse und neue Prozesse zur gleichen Zeit gelten – und sich widersprechen. Das Aushalten-Können dieser ambidexten Phasen und das offen Kommunizieren darüber, wird eine neue Herausforderung für Führung darstellen.