Archiv für den Monat: Oktober 2020

Erliegen Sie nicht dem Semmelweis-Reflex

Gerade in Zeiten, in denen Vieles im Umbruch, in der Veränderung und manchmal auch in der Abkehr von überliefertem Handeln liegt, sollten wir stets offenbleiben und nicht dem Semmelweis-Reflex erliegen.

Namensgeber dieses Reflexes ist der aus Ungarn stammende und in Wien praktizierende Chirurg und Frauenarzt Ignaz Semmelweis (1818-1865). Ihn beunruhigt, dass Mütter im Wochenbett häufiger verstarben, wenn sie mit Ärzten in Kontakt waren. Zu seiner Zeit lag die Sterblichkeitsrate im Wochenbett der Geburtenstation bei 30%! Als er versuchen wollte, die Ursache zu ergründen und die Frauen noch intensiver untersuchte, stiegt die Zahl der Todesfälle noch weiter an. Er vermutete schließlich, dass die Infektionen auf mangelnde Hygiene zurückgingen und schrieb seinem Personal vor, sich vor jeder Untersuchung die Hände mit Chlorkalk zu desinfizieren. Diese Maßnahme senkte die Sterblichkeit der Frauen und Kinder in den Jahren 1847/48 dramatisch und seine Vorgehensweisen, eine Annahme evidenzbasiert zu prüfen, wird heute noch als Musterbeispiel für eine methodisch korrekte Überprüfung wissenschaftlicher Hypothesen genannt.

Soweit so gut, aber nun kommt das „große Aber“. Zu jener Zeit galt Hygiene als Zeitverschwendung und unvereinbar mit den damals geltenden Theorien über Krankheitsursachen. Semmelweis wurde zu einem Politikum. Seine Erkenntnisse wurden nicht nur nicht anerkannt, sie wurden als „spekulativer Unfug“ abgelehnt und als herber Affront gegen die Autorität der Ärzteschaft gewertet. Der Gedanke schien unerträglich, dass der als unfehlbar geltende Arzt nicht nur Heils- sondern auch Unheilsbringer sein soll. Semmelweis‘ Ideen wurden abgelehnt – aus einer Kränkung des Berufsstandes heraus ohne die Beachtung wichtiger Untersuchungen.

Der Semmelweis-Reflex steht bis heute für das Ablehnen von Fakten ohne guten Grund, nur weil man sich angegriffen fühlt.

Unfassbar meinen Sie? Überlegen Sie mal, wie oft wir – aus einer rein emotionalen und menschlichen Reaktion heraus – Fakten ignorieren und uns verteidigen, um den Status Quo zu erhalten. Selbst wenn es Fakten gibt, wollen wir ihnen nicht glauben und lehnen Neues ab. Weil der Bauch dem Kopf nicht trauen will oder kann. Ob das im Zusammenhang mit Klimaschutzmaßnahmen steht oder mit Corona-Fakten oder ganz einfach mit Neuerungen, die in der Berufs- und Privatwelt auf uns zukommen. Wenn also das nächste Mal eine (faktenbasierte) Veränderung auf Sie zukommt, erliegen Sie nicht sofort dem Semmelweis-Reflex. Hören Sie zuerst zu, prüfen und denken Sie nach oder probieren das Neue (probehalber) aus – vielleicht ist was Gutes dabei!

Disziplin, Vertrauen, Humor – die neuen Führungsparameter

Eine Nachlese unseres Frühstücks-Salon zur Frage, welche – langfristige – Wirkung Corona auf Führungskräfte und Führungskultur hat

Mitte Oktober 2020, also fast auf den Tag genau sieben Monate nach dem Lock Down, baten Martina Friedl und ich drei HR/PE/OE-Expertinnen mit Führungsverantwortung sehr unterschiedlicher Organisationen zum Interview: Wie ging es Führungskräften während der Pandemie? Welches Führungsverhalten und welche Strategie wendeten sie an? Und vor allem, was davon wird überdauern und langfristig in die Führungskultur eingehen? Karmen Frena, Leiterin Personalentwicklung, Diversitäts- und Gesundheitsmanagement beim AMS Niederösterreich, Maria Ekl-Jürgens, Leitung Human Resources & Organizational Development bei Licht für die Welt und Anja Graf HR Generalist bei Magna Global IT berichteten über ihre Beobachtungen, ihren eigenen Führungsalltag und notwendige Unterstützung der Führungsebenen.

Auf der Suche nach dem (neuen) Gleichgewicht

Nach mehr als einem halben Jahr Führen in Zeiten von Corona zeigte sich den Expertinnen eine Mischung aus – teilweise gleichzeitiger – Über- und Unterforderung. Die Überforderung am Beginn der Krise im März und April 2020 durch die Umstellungen von Prozessen und dem Einrichten des Home-Office wich einer inhaltlich-persönlichen Überforderung, weil sich ganz neue Themen wie Kurzarbeit, permanente Erreichbarkeit, fehlendes Selbstmanagement und ein noch größerer Bedarf an Kommunikation auftaten. Unterforderung ergab sich bei jenen, die aus systemerhaltenden Prozessen im wahrsten Sinne herausfielen. Auch die beiden Pole der Führung – Vertrauen auf der einen Seite oder Kontrolle auf der anderen – sind noch nicht geklärt und bedürfen sicher eines Nachschärfens. So berichten die drei Expertinnen auch davon, dass Prozesse und Aufgaben seit der Krise entweder (wieder) stärker an eine Zentrale gebunden werden oder ganz im Gegenteil die Organisation agil wird und dezentrale Steuerungsmöglichkeiten einbaut. Für die kommenden Monate bedeutet dies, dass Organisationen an einem neuen Gleichgewicht arbeiten müssen zu individueller Über/Unterforderungen, organisatorischer Zentralisierung/Dezentralisierung und auch der Suche nach passenden stabilisierenden Führungsparametern.

Diese Beobachtungen teilen wir als Beraterinnen. Dass das Gleichgewicht sehr fragil bei einzelnen Führungskräften wie bei ganzen Organisationen ist, zeigt sich in leisen Stressmomente. In diesen werden minimale Anpassungen oder Irritationen noch immer aufgeregt diskutiert; aus unserer Sicht, weil die Suche nach der neuen Führungsstabilität erst am Beginn stehen. Prozesse neu zu denken, sich von Altem zu verabschieden, Vertrauen in viele Hände und auf mehrere Schultern zu legen, sind mögliche Antworten darauf.

Was jetzt: flexibel oder diszipliniert?

Beides meinten unsere Interviewpartnerinnen, denn die neue Flexibilisierung braucht Disziplin. An zwei Beispielen – der Zeitflexibilisierung und der Klient*innen-Erreichbarkeit – wurde die Gleichzeitigkeit beider Faktoren beschrieben. Aus dem Home-Office mehren sich die Berichte über fehlende Zeitlinien: Wann ist man „nur mehr“ zu Hause? Ist Büro-Alltag auch noch schnell und flexibel nach dem Abendessen und vor allem was macht man mit der Zeit, die sonst für die Fahrt zur Arbeitsstätte und retour gebraucht wurde? Ist das die neue Arbeitszeit plus? So sinnvoll und wichtig eine hohe Zeitflexibilität während einer Krise war, so sinnvoll und wichtig ist es „im neuen Normal“ dafür Zeitregelungen aufzustellen. Zur Orientierung, zur Abrechnung und vor allem auch, um die Selbstorganisation zu stärken. Am Beispiel das Klient*innen-Orientierung aus einer Organisation wurde schnell klar, dass nicht alles, was online ginge auch optimal ist. Beratungen und Dienstleistungen, die Barrieren überwinden müssen (seien es sprachliche, alters- oder bildungsbedingte) brauchen den Menschen vis à vis. Nicht nur die technologische Innovation, sondern Beziehungsaufbau und -pflege (als neue alte Innovation) wird wohl die Zeit nach der Krise am meisten prägen.

Gibt es noch was zu lachen?

Ohne Humor keine Krisenüberwindung. Dieses Credo hörten wir und die vielen interessierten Teilnehmende unseres Frühstücks-Salons mehrfach. Eine positive Grundhaltung von Führungskräften macht das Leben im Team leichter. Und ist ansteckend, hilft gegen Vereinsamung im home-office und baut die wichtige Beziehungsbrücke zwischen den Teammitgliedern oder zwischen den Mitarbeitenden und den Kunden (wieder) auf. Es bedarf keines großen Aufwandes, sich gemeinsam etwas Lustiges anzusehen. Wie etwa jenen Gabelstaplerfahrer aus den Niederlanden, der über zwei Minuten lachend durch eine Halle voller Toilettenpapier fährt. Das Video finden Sie hier.

Agil ist da und Selbstfürsorge kommt

Aus unserer Perspektive als Organisationsberaterinnen sind uns einige neue, interessante Aspekte aufgefallen, die wir hier teilen wollen:

  • Ein Frühstücks-Salon ohne das Wort „agil“. Hätten wir das Wort „Agilität“ nicht eingebracht, es wäre beim Frühstücks-Salon nicht gefallen. Agil scheint plötzlich das Normalste der Business-Welt zu sein. Während wir gefühlt Jahre damit verbracht haben, agile Konzepte mit Organisationen zu diskutieren und nicht sicher waren, ob es jemals gelingen wird: Jetzt ist die agile Welt einfach da. Führungskräfte müssen ihren Teams Vertrauen und Verantwortung delegieren. Uns kam vor, dass es den Organisationen noch gar nicht bewusst ist, dass hier vielfach Disruption stattgefunden hat.
  • Kommunikationsanforderungen an Führungskräfte steigen. In Zukunft wird die Pluralität der internen Kanäle zunehmen, sowohl online als auch offline. Führungsverantwortliche müssen diese Pluralität bewusst nutzen, um Botschaften über passende Kanäle mehrfach zu kommunizieren. Denn gerade die online Kommunikation erfordert eine höhere Präzision, um Missverständnisse zu vermeiden.
  • Selbstfürsorge und Achtsamkeit rücken deutlich in den Mittelpunkt. Die problematische Trennung von Privat und Beruf wurde schon kurz erwähnt. Ein achtsamer Umgang mit den eigenen Ressourcen wird damit noch wichtiger, genauso wie Rituale zur Abgrenzung. Führungskräfte tragen hier Verantwortung für sich selbst – und für das Team. Auch für Organisationen werden sich hier neue Fragestellungen auftun, wenn es darum geht, die Vorteile dieser neuen Art zu arbeiten, für sich zu nutzen (z.B. in Bezug auf das Thema Vereinbarkeit von Beruf und Familie). Hierzu möchten wir auch in unserem nächsten Frühstücks-Salon anknüpfen, zu den wir am 27.11.2020 mit der Frage „Organisationen in der Vereinbarkeitsfalle?“ herzlich einladen. Alle Details zu diesem unseren vierten kostenlosen Frühstücks-Salon finden Sie hier.

 

KANBAN-Board: Bunte Post It mit Mehrwert

Wie bekommen Sie Struktur in ein Team, das remote arbeitet oder manchmal in der online-Welt im home-office lebt und zeitweise wieder ins analoge Büro kommt? Das Kanban-Board, das einzelne Aufgaben und deren Status visualisiert, kann dabei nützlich sein. Die Methode des Kanban kommt aus dem Kaizen. Kaizen ist japanisch und bedeutet so viel wie sich verbessern oder etwas zum Positiven verändern; Kanban ist der Ausdruck für ein visuelles Signal. Kanban ist eine von vielen Kaizen-Methoden und deren Herzstück ist das Kanban-Board.

Zunächst werden Aufgaben auf Post-It oder Kärtchen erfasst. Das können Ihre ganz persönlichen Aufgaben sein, wenn Sie Kanban für Ihren Arbeits- oder Projektfortschritt nutzen; das können aber auch jene des Teams sein. Bei Teams können Sie beispielsweise pro Mitarbeiter*in eine eigene Farbe nutzen, um auf einen Blick Über- oder Unterlastungen zu erkennen.

Als nächstes wählen Sie einen Ort, auf den die Kärtchen gepinnt oder geklebt werden können. Das kann eine Tafel sein, ein Whiteboard, eine Türe – oder in der digitalen Entsprechung Softwaretools wie beispielsweise Trello. Alle Aufgaben, die nun auf Post-It oder Kärtchen stehen, sollen hier Platz finden. Aber nicht in alphabetischer Reihenfolge oder nach Mitarbeitendem, sondern nach Arbeitsfortschritt.

Dazu müssen Sie diese Tafel oder das Trelloboard zuerst in mehrere vertikale Spalten unterteilen, damit jeweils eine Aufgabe (= 1 Kärtchen) ihrem jeweiligen Status zugeordnet werden kann. Die einfachste Form wären drei vertikale Spalten für „ToDos“, „Doing“ und „Done“, also Aufgaben, die demnächst erledigt werden müssen, Aufgaben, mit denen Sie sich aktuell befassen und jene die erledigt sind. Spannender finde ich persönlich mehrere Spalten, die zeigen, wie sich Aufgaben entwickeln.

Für eine Kommunikationsabteilung haben wir ein Kanban-Board mit fünf Spalten definiert: Startend mit „Ideenstatus“ – hier war Platz für neue kreative aber noch nicht zu Ende gedachte Ideen. Spalte 2 waren „Aufgaben vor Entscheidung“; diese Abteilung war abhängig von Beauftragungen anderer Abteilungen und des Managements. Ein „Stau“ in dieser Spalte ist fatal; durch die Visualisierung wird auf mögliche Stressmomente vorbereitet und die Art der Urgenz des Abteilungsleitenden ändert sich. Spalte 3 behielten wir mit „ongoing“ in etwa dem klassischen Kanban-Board entsprechend bei; hier werden die Kärtchen verortet, die bei den einzelnen Teammitgliedern in Bearbeitung sind. Spalte 4 bezeichneten wir als „im Freigabeprozess“. Die Aufgabe ist so weit erledigt aber vom internen Kunden noch nicht als abgeschlossen tituliert. Und schließlich Spalte 5, die „abgeschlossenen Aufgaben“. Die letzte Spalte „erledigt“ empfehle ich unbedingt einzuführen und beizubehalten. Wir tendieren so leicht dazu, den Erfolg nicht mehr zu sehen, wenn er eingetreten ist. Das Erledigte als gegeben hinzunehmen. Gerade aber diese Spalte gibt Teams, die sich nicht regelmäßig sehen, notwendige Erfolgsmomente. Erfolge, die es zu würdigen gilt und durchaus mal gefeiert werden dürfen. Denn sie geben Kraft für Spalte 1 – die neuen Ideen oder offene Aufgaben.

Wichtig für die Arbeit am Kanban-Board sind zwei Aspekte: eine leserliche Handschrift, wenn mit klassischen Kärtchen gearbeitet wird, und das regelmäßige „Bespielen“ des Boards. So eignet es sich für Jour Fixes – egal ob online oder analog –, bei denen jede/r im Team die Entwicklung seiner/ihrer Post-Its kommentiert und umhängt. Oder für kurze Abstimmungen mit der Leitung. Auf einen Blick sehen alle Teammitglieder, wer woran arbeitet, welche „Bottlenecks“ sich ergeben könnten und welche Erfolge das Team demnächst feiert.