Archiv für den Monat: Januar 2024

Bei uns ist das halt so…

Glaubenssätze in der Organisation

Möglicherweise haben Sie im Coaching von den eigenen inneren Glaubenssätzen gehört, die aus frühen Kindheitserfahrungen stammen: „Perfekt sein“ zu müssen oder für künftig brave Mädchen das Mantra „sei lieb“. Auch Organisationen haben diese Glaubenssätze. Oftmals durch Gründer und Entstehungsgeschichten manifestiert und durch Führungskräfte und langgediente Teammitglieder weitergetragen. Diese organisationalen Glaubenssätze geben die Wertehaltung, die intern gilt, weiter. Und das, ohne verschriftlich zu sein. Es ist eine Art kollektives Gedächtnis bzw. Gespür, das für jedes Teammitglied gilt, und wie ein ungeschriebenes Gesetzesbuch auch exekutiert wird.

Gerade neu hinzukommende Kolleg*innen merken sehr schnell „wie der Hase hier läuft“ und können die internen Kraft- bzw. Hinderungsfelder noch identifizieren, bevor sie ihnen in Fleisch und Blut übergehen. Der ehemalige Personalvorstand der Deutschen Telekom, Thomas Sattelberger, meinte einmal in einem Interview, Mitarbeiter*innen „hätten ein seismographisches Gespür dafür, was von Ihnen erwartet wird.“

Diese Grundannahmen – „so machen wir das eben bei uns“ – können stärken und die Identifikation mit dem Unternehmen festigen. Sie können aber auch überkommen sein, ein Vorwärtskommen bremsen und brauchen dann eine Änderung.

Ungeschriebene Glaubenssatz sichtbar machen

Eine Änderung von Glaubenssätzen ist möglich, braucht aber einen bewussten Anstoß. Idealerweise vom Top-Management; öfter passiert es bei einem Wechsel der Führungsspitze, da dies ein Anlas ist, sich als Organisation zu hinterfragen.

Der erste Schritt ist immer, das Unsichtbare sichtbar zu machen. Also auf die Suche nach den wirksamen, aber unausgesprochenen „Trampelpfaden“ zu gehen. Idealerweise werden viele in diese Suche miteinbezogen, etwa die Führungskräfte im Rahmen einer Klausur. Alleine, zu zweit oder in Kleingruppen werden mögliche Glaubenssätze identifiziert und aufgeschrieben.

Diese erstmals verschriftlichten Sätze oder Annahmen bekommen in einem zweiten Schritt eine Bewertung durch die ganze Gruppe. Die Unternehmensberater von intrinsify schlagen dafür eine 7-stufige Skala von 1 – bei uns nicht stark ausgeprägt – bis 7 – bei uns sehr wirksam und ausgeprägt – vor. Wichtig ist, diesen Schritt noch nicht inhaltlich zu bewerten, ob der Glaubenssatz politisch oder ideologisch gut ist, dass kommt erst nach dieser zahlenmäßigen Einschätzung, die es auch zu begründen und mit Beispielen zu belegen gilt.

„Schweigejahre“: Raus der selbstgemachten Innovationsfalle

Ich hatte in einem Expert*innen-Umfeld mit dem Glaubenssatz zu tun, dass die ersten Jahre als „Lehrjahre“ gelten. Lehrjahre – egal in welcher Position und mit welchem Alter die Person ins Team kam – wurden dort neben dem Zuhören und Lernen vor allem als „Schweigejahre“ verstanden. Eine Person, die „gerade einmal drei Jahre“ dabei war, entschuldigte sich pausenlos für neue Ideen. Interessant, weil die Verweildauer von Vorständen bei knapp über sechs Jahren liegt; das würde heißen, in der ersten Halbzeit wären neuen Vorschläge ungewünscht? Durch das Aufdecken dieses Glaubenssatzes – „neue Teammitglieder schweigt und lernt“ – konnte sich das Unternehmen mit der selbst verursachten Innovationslosigkeit befassen.

Das Aufdecken und die zahlenmäßige Einschätzung von 1 bis 7 hilft in der weiteren Überlegung: Wollen wir den Glaubenssatz beibehalten oder hindert er uns und soll daher geändert werden?

Wenn Sie noch mehr zum Thema Glaubenssätze in Organisationen lesen wollen, empfehlen ich diese umfangreiche Arbeit dazu: Jakob, Ankie Sophie: Organisationale Glaubenssätze. Eine systemische Analyse. In: Müller-Christ, Georg (Hrsg.) E-Schriftenreihe Nachhaltiges Management 2019 | Nr. 1.

Soll ich oder soll ich nicht?

Entscheidungsunsicherheit in der Führung nimmt zu

Natürlich können Sie Gänseblümchen zupfen und sich fragen: Soll ich oder soll ich nicht. Sie können auch untertauchen und warten, bis eine Entscheidung ohne Sie getroffen wird. 55% aller Führungskräfte überlegen das mehr als einmal täglich. Sie sind laut einer Studie von Oracle mit dem Titel „The Decision Dilemma“ (2023) unsicher, wie sie entscheiden oder welchen Weg sie nehmen sollen. 14.000 Führungskräfte in 17 Ländern wurden online befragt und räumten ein, dass sie sich datengestützte Hilfe wünschen (97%). Gleichzeitig meinen 73% der Befragten, dass das mangelnde Vertrauen in Daten sie blockierten. Also noch mehr Dilemma: Selbst entscheiden oder die Daten entscheiden lassen?

In China ist im Unternehmen Fujian Netdragon Websoft zumindest diese Entscheidung gefallen. Seit August 2022 wird der asiatische Konzern von einer künstlichen Intelligenz geleitet. Die KI-Chefin wird Tang Yu genannt, hat eine 168 Stunden-Woche und analysiert Daten. Auf dieser Basis soll sie faire und transparente Entscheidungen fällen – vorausgesetzt ihr Algorithmus wurde vorurteilsfrei programmiert.

Einen Vorteil hat die KI allemal: sie ist schneller und zweifelt weniger. Denn laut der erwähnten Oracle-Studie hat die Quantität überproportional zugenommen: die Zahl täglicher Beschlüsse habe sich in drei Jahren verzehnfacht, gaben 60% der Führungskräfte an. Aber ist nicht gerade ein gesunder Zweifel manchmal auch etwas Gutes? Nicht sofort dem Kopf oder dem Bauch nachgeben und nochmals drüber schlafen bzw. Menschen aus der Organisation konsultieren, die ebenso eine Meinung haben? Manchmal braucht es nämlich auch Führung, die zuhört statt Schnellschüsse abgibt. Denn 93% der Befragten wissen: Die Entscheidungsintelligenz von Führungskräften ist ausschlaggebend für den Organisationserfolg. Oder wie es Stefan Titscher in seinem Buch „Entscheidungen: umsetzen“ ausdrückte: EE = f (EQxIQ). Wenn Sie wissen wollen, was die Formel bedeutet lesen Sie unseren Artikel:
Nicht-Entscheidungen: Kopfkino in Organisationen

Eine Runde Poker-Spielen

Und damit bessere Entscheidungen treffen

Kennen Sie eine der größten Hürden guter Entscheidungen? Die Klärung der Frage: Wer trifft die Entscheidung eigentlich bzw. wer sollte sie treffen.

In Organisationen kommen uns immer wieder Sätze unter wie „Meine Mitarbeitenden trauen sich nicht, Entscheidungen zu treffen“ oder „Warum dürfen wir eigentlich nicht mitentscheiden“ oder „Die da oben sollen sich mal endlich entscheiden“. Die Bandbreite ist beliebig, wer den Hut der Entscheidungsverantwortung aufhat oder haben sollte.

Das Spiel „Decision Poker“ (manchmal auch als Delegation Poker tituliert) nimmt sich genau dieses Themas an und wir setzen es im Führungskräfte-Coaching regelmäßig ein. Je nach Wunsch und Spieleanbieter ergeben sich sechs bis neun unterschiedliche Spielkarten, die die Art und die Verantwortung der Entscheidung abbilden. Stufe 1 kann eine Einzelentscheidung auf Top-Führungsebene sein, Stufe 2 eine vorhergehende Beratungsrunde von Expert*innen, bevor die Top-Führungsebene entscheidet. Auf den nachfolgenden Stufen erweitert sich der Kreis jener, die mitentscheiden oder an die ein Fall delegiert wird: das kann durch ein Teamveto gehen oder – bei einer Entscheidung durch das Team – ein Führungsveto. Ein spannender Zugang könnte auch die Erhebung der Widerstandspunkte statt der Zustimmung sein, wie Sie im Artikel „Konsent statt Konsens“ nachlesen können. Auf der jeweils letzten Stufe übernimmt das Team, das betroffen ist, autonom die Entscheidungshoheit.

Es gibt mehr als eine Art zu entscheiden

Es ist für viele Führungskräfte schon augenöffnend, diese vielen Optionen, wie Entscheidungen getroffen werden können, zu sehen. Denn nicht alles muss allein im stillen Kämmerlein ausgebrütet werden.

Beim Spielverlauf geht es nun darum, pro Entscheidungsfall zu überlegen, welche Stufe hierfür angemessen ist. Dazu bekommt jeder Mitspielende ein gleiches Kartenset und die Erklärung des jeweils zu bestimmenden Falls. Das kann von der Aufnahme neuer Teammitglieder reichen, über Ort und Ablauf des Betriebsausfluges oder die Anschaffung bestimmter Geräte für Videocalls. Pro Fall überlegt jeder Mitspielende, wie die Entscheidung zu treffen wäre und legt eine Karte mit der entsprechenden Ziffer verdeckt vor sich hin.

Nun werden die Karten aufgedeckt und die Ziffern verglichen. Jene mit der höchsten Abweichung beginnen, ihre Einschätzung zu erklären, bis alle Meinungen reihum gehört sind. In der Folgediskussion einigt sich das Spieleteam (oder das echte Projektteam) auf die Art, wie in diesen Fällen künftig zu entscheiden sein wird. Im Idealfall wird das gleich auf ein Decision Board geschrieben, damit es dokumentiert und für neue Mitglieder einsichtig wird.

Mehr zum genauen Spielverlauf von Jürgen Appelo und seinem Buch “Management 3.0: Leading Agile Developers, Developing Agile Leaders bzw. unter diesem Link: https://management30.com/practice/delegation-poker/