Archiv für den Monat: März 2021

Am Rad der Vereinbarkeit drehen

Vereinbarkeit ist kein neues Thema. Gleichberechtigung auch nicht. Fünf Jahre vor der Pandemie, 2015, haben sich 193 Mitgliedsländer der Vereinten Nationen zusammengeschlossen, um 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung festzulegen. Ziel 5 lautete, sich auf die Gleichstellung der Geschlechter bis 2030 zu konzentrieren. Mit der Pandemie ist vieles in Vergessenheit geraten. Wir müssen und sollen das Rad nicht neu erfinden und die Diskussion weiter hinauszögern; denn Organisationen wissen schon sehr lange sehr gut, an welchen welchen Hebeln sie drücken und welche Stellschrauben sie drehen können. Zur Sicherheit haben wir nochmals die Optionen, die vor Corona galten und die nachher genauso wirksam sind, im obigen Bild für Sie zusammengefasst.

Ein aus unserer Sicht zentraler Schritt für Vereinbarkeit und Gleichberechtigung ist es, die Themen nicht nur unter dem Fokus Frauenförderung zu sehen, sondern Männer wie Frauen zu adressieren. Es sind auch keine Themen, die „nur“ Eltern kleiner oder schulpflichtiger Kinder betreffen. Sie sind gesellschaftliche Themen, die die Pflege von Angehörigen, Freunden – und auch die Selbstfürsorge umfassen.

Dass so was nicht von „heute auf morgen“ geht, darf und soll keine Ausrede sein, nicht endlich damit zu starten. Jetzt wäre die passende Zeit! Und damit könnten wir auch gleich das Thema Diversität wirklich behandeln und uns unseren „Biases“, den unbewussten Vorurteilen, die in jedem von uns schlummern, stellen.

Zwei Tipps dazu:

  • Wer in verschiedene Biases und die Bewältigung ganz unterschiedlicher Branchen eintauchen will – vom Automobilsektor bis zur Katholischen Kirche – dem sei das im Jänner 2020 erschienene Buch ans Herz gelegt: Domasch, M., Ladwig, D. H., & Weber, F. C. (2020). Vorurteile im Arbeitsleben. Hier geht es zum Buch.
  • Mehr zum Thema Unconscious Bias hören Sie HIER im Podcast von Gerhild Deutinger im Interview mit Martina A. Friedl.
    -> reinhören 

Mutmachende Zitate

Eine Vielzahl von Aussprüchen wichtiger Protagonisten aus Literatur und Wissenschaft oder Personen aus der Konzernspitze erweckt den Anschein, Veränderung und Vereinbarkeit seien etwas sehr Anstrengendes, mit viel Aufwand, Widerstand und negativen Konnotationen verbunden. Wie etwa die Aussage des Theologen Thomas von Acquin, der im 13. Jahrhundert den Ausspruch prägte:

„Für Wunder muss man beten, für Veränderungen aber arbeiten.“

Dem möchten wir ein paar mutmachende Zitate gegenüberstellen.

Das erste meines persönlichen Lieblingsdramatikers George Bernard Shaw, Nobelpreisträger für Literatur:

Wenn Sie einen Apfel haben und ich einen Apfel habe und wir diese Äpfel austauschen, dann haben sie und ich immer beide noch einen Apfel. Aber wenn Sie eine Idee haben und ich eine Idee habe und wir diese Ideen austauschen, dann wird jeder von uns zwei Ideen haben.

In die Neuzeit übersetzt das Steffen Kirchner, Motivationstrainer im Sport so:

Menschen, die miteinander arbeiten, addieren ihre Potenziale. Menschen, die füreinander arbeiten, multiplizieren ihre Potenziale!

Ähnlich wie Greta Thunberg heute plädierte Margaret Mead an den Mut des oder der einzelnen:

Glaube nie, dass ein paar wenige, engagierte Menschen nicht die Welt verändern können. Denn nur solche Menschen sind es, die es bisher getan haben.

Zum Themenschwerpunkt Diversität halte ich mich gerne Friedrich Hebbel, der um 1830 herum den Ausspruch tätigte:

Jedenfalls ist es besser, ein eckiges Etwas als ein rundes Nichts zu sein.

Und wenn ich wieder einmal ungeduldig bin, weil die gesellschaftliche Weiterentwicklung zu langsam geht, dann erinnere ich mich an Margaret Thatcher, die (zwar in anderem Zusammenhang, aber man kann Zitate ja entlehnen und umdeuten) meinte:

Geduld ist eine gute Eigenschaft. Aber nicht, wenn es um die Beseitigung von Missständen geht.

Vereinbarkeit und New Work gemeinsam denken

Ein Nachbericht zu unserem Frühstücks-Salon vom 4. März 2021

Eine dicht geballte Ladung an Erfahrungen, an Experimenten und Probeballons ließen die Teilnehmerinnen unseres Frühstücks-Salons „Vereinbarkeit post Corona“ am 4. März 2021 steigen. Die neuen Erfahrungen mit dem virtuellen Führen, dem Führen auf Distanz, der zunehmenden Individualisierung und steigenden Anforderung zur Flexibilisierung wurden geteilt und Unternehmen wie Wissenschaftsorganisationen staunten über die Fülle an Angeboten, die während der Pandemie entwickelt wurde: Online-Angebote, um psychische Belastungen zu bewältigen, Trainings für das neue Führen, online Teambuildings zur Konfliktbereinigung, flexibelste Betreuungsangebote an einem Unistandort für Kinder ab einem Alter von 8 Wochen bis 12 Jahre, Freistellungen und Sonderzeiten für Mütter wie Väter, Nudging für Männer, um Carearbeit während der Pandemie zu übernehmen, Corona-Boni …. Martina Friedl und ich kamen während der 75 Minuten dauernden Veranstaltung aus dem Staunen über den Mut und Experimentierfreude von PE und OE kaum heraus.

Bis März 2021 stand in den meisten Organisationen die Stabilisierung von Mitarbeitenden und Führungskräften und die rasche Unterstützung bei Vereinbarkeitsproblemen im Fokus. Das könnte sich nun ändern: die Zeit der Reflexion und Zukunftsplanung ist gekommen. Welche der Ideen sind gekommen, um zu bleiben? Welche dienten rein der Krisenbewältigung und werden wieder verschwinden?

Was wir erkennen und als These mit in diesem Frühstücks-Salon gebracht haben: Vereinbarkeit und New Work müssen gemeinsam gedacht und geplant werden. Das könnte für beide Themen der Durchbruch sein! Eine Verknüpfung beider Aspekte hilft, um Organisationen ein Stück weit zu besseren Arbeits- und Lebenswelten zu machen.

Erste Verknüpfungen, die in unserem Frühstücks-Salon angeschnitten wurden:

  • „Leistung“ neu definieren und die Bonussysteme darauf ausrichten. Dort, wo Leistung immer noch an Anwesenheit oder an Verkaufszahlen gemessen wird, könnte ein neuer Leistungsbegriff einen Kulturwandel einläuten. Wie wird Leistung für jene definiert, die nicht im 40-Stunden-Rad werken, die egal welchen Geschlechts temporär oder dauerhaft Carepflichten erfüllen? Wie sieht die Generation Z Leistung? Können heute schon Vereinbarkeitsangebote entwickelt werden, um für Junge attraktiv(er) zu werden möglich?
  • Teilgruppen mit gleichen Bedürfnissen besser adressieren. In der Pandemie erkannten Organisationen, dass sie Eltern mit Kleinkindern mit speziellen Themen extra adressieren und ansprechen können – ebenso wie Singles, die im home-office u.U. vereinsamen. Die einen wollten Rechtsberatung, die anderen Beziehungspflege. Nicht die hierarchische Ebene, nicht das fachliche Team, sondern die Bedürfnislagen zählen im „neuen Normal“. Aus der Diversitätsforschung und Maßnahmen v.a. amerikanischer Konzerne, verschiedene ethnische Zugehörigkeiten anzusprechen, können wir bei der gezielten Teilgruppen-Ansprache lernen.
  • Mitarbeitende ganzheitlich wahrnehmen. Eine Teilnehmerin im Frühstücks-Salon berichtete, dass ihre Organisation ab sofort Familiencoachings anbietet. Life spielt ins Work hinein und umgekehrt – hier werden wir sicher noch neue Formate finden. Mit der kleinen Warnung unsererseits: Als Copingstrategie ist eine klare Trennung zwischen Arbeit und Familie gerade für Jungfamilien sinnvoll.
  • Adaption im Recruiting. In der Pandemie stellte sich das Thema Zeit komplett neu. Wann wollen wir arbeiten und wieviel? Waren bislang Teilzeit-Angebote eher rar – vor allem auch beim Thema Führen in Teilzeit – könnten sich nun neue Angebotsfenster öffnen. Eine Teilnehmerin unserer Diskussion hat für ihre Organisation entschieden, Funktionen, die bislang nur als Ganztags-Jobs gedacht und angeboten wurden, als Teilzeitstellen anzubieten. Auch, wenn sie damit mehr Mitarbeitende führt –  für die Generation Z (oder die noch später folgenden „Generation Greta“) wird sie attraktiv sein.
  • Empowerment Angebote für alle. Wenn es zu einer echten Gleichstellung von Mann und Frau kommen soll, dann braucht es Empowerment für beide Geschlechter. Es reicht nicht nur, das Angebot für Mütter auch Vätern zugänglich zu machen. Es braucht ein neu erdachtes Miteinander, damit Väter ihre Betreuungspflicht in gleicher Weise leisten und leben können. Jetzt könnte ein passender Zeitpunkt sein, um attraktivere Formen von Auszeiten einzuführen, neue Meetingkulturen zu entwickeln und ein Miteinander unter Vereinbarkeitsgesichtspunkten zu leben.

Ein Link aus der Frühstückerinnen-Runde möchten wir Ihnen gerne weiterreichen:
„Der Weg zur familienorientierten Hochschule – Lessons Learnt aus der Corona-Pandemie“.

Diese CHE-Publikation erschien am 24. Februar 2021. Sie beinhaltet Interviews mit acht Familienverantwortlichen an sechs deutschen sowie einer österreichischen Hochschule im Zeitraum Juni bis September 2020.

Der nächste Frühstücks-Salon findet am 23. Juni 2021 zum Thema „Never Normal?“ statt. Voranmeldungen dazu sind ab sofort unter assistenz@impulsbuero.at möglich.