Archiv für den Monat: August 2021

Machen Sie nicht den Apple-Google-Fehler

Wir schreiben April 2021. Apple und Google geben ihre Rückkehrpläne aus dem Home-Office für die Belegschaft geltend ab 1. Juli 2021 bekannt. In einem internen Google-Memo an die amerikanischen Mitarbeiter*innen etwa wurde verlautbart, dass sie mindestens drei Tage pro Woche in die Büro zurück zu kehren haben und alle, die nach dem 1. September mehr als 14 Tage pro Jahr remote arbeiten wollen, einen Antrag stellen müssten. Ähnlich lautete die Apple-Vorgabe an die Mitarbeitenden, die an Montagen, Dienstagen und Donnerstagen ab Herbst in die Büros zurück kommen sollten – was mit einer Kündigungswelle quittiert wurde. (Mehr hier.)

Nach einem Aufschrei unter der Belegschaft haben beide Firmen zurückgerudert und neue Vereinbarungen geschaffen.
(Mehr in diesem CNN-Bericht)

Wie kam es zu diesem Vorstoß und seiner Rücknahme? Bei den Unternehmen waren alle Führungskräfte (also mehrere tausend Menschen) an der Entwicklung der Rückkehr-Regelungen beteiligt. Ihnen ist der Wunsch der Angestellten nach flexibler Arbeitszeit und -form, nach remote work, nicht aufgefallen. In einem offenen Brief der Mitarbeitenden heißt es: „Over the last year we often felt not just unheard, but at times actively ignored…“ Als gäbe es eine Trennung zwischen dem Führungsteam und den Mitarbeiter*innen, eine gläserne Decke der Nicht-Kommunikation und des Nicht-Verstandenwerdens.

Die Verhaltensökonomie hat eine Erklärung dafür und nennt das den Ankereffekt. Menschen – in unserem Fall Führungskräfte – haben sich bei ihrer Entscheidung stark von den unmittelbaren Umgebungen und eigenen Wünschen leiten und lenken lassen, ohne das zu bemerken. Sie haben eigene Annahmen als Basis weiterer Überlegungen – als „Anker“ – genutzt. An ihnen orientierten sie sich für die Ausarbeitung der Pläne und für Entscheidungen. Im Beispiel Apple und Google kam es zu einer systematischen Verzerrung der Sichtweise in Richtung des Ankers. Deshalb: Raus aus dem eigenen (Führungs-)Kreis und zuhören. Wirklich zuhören! Mehr dazu im Artikel „Angst vor echter Transformation?“ 

 

Wie bewegt man eine träge Masse?

Vor kurzem in einem Veränderungstraining: eine junge Change Managerin verzweifelte. Sie habe schon alles versucht, aber die Veränderung in ihrer veränderungsresistenten Organisation funktioniere einfach nicht. Was also tun? Für alle, denen es so geht, hier ein paar Gedankenanstöße:

  1. Durch Beharrlichkeit und Wiederholung: Einmal gesagt ist noch lange nicht gehört und einmal gehört ist noch lange nicht verstanden und wo weiter… Sie kennen das Zitat. Dennoch: bei Veränderungen schrecken Verantwortliche gerne vor Wiederholungen zurück, vor allem, wenn auf die ersten Kommunikationsschritte keine Bravo-Rufe ertönen. Sollte hingegen ein Hinterfragen und erster Widerstand auftreten, schon ist der Change abgesagt. Wer Veränderung ernst meint, muss viel, wirklich viel kommunizieren. Immer und immer wieder. Muss den Dialog suchen und manch eine Beharrlichkeit an den Tag legen um zu beweisen, dass es dieses Mal ernst ist mit der Veränderung.
  2. Durch Vorbildwirkung: Jüngst erzählte eine liebe Freundin und Kundin, dass in ihrer Organisation der Abbau von Überstunden und Urlaubstagen während der Corona-Pandemie so wunderbar reibungsfrei funktioniert hatte. Gerade dieser Punkt ließ mich aufhorchen, hatten wir doch gerade das als Konfliktthema in manch einer Organisation in den vergangenen Monaten vernommen. Was hatte die Organisation meiner Freundin anders gemacht? Nun, die oberste Verantwortliche ist mit eigenem Beispiel vorangegangen und thematisierte es entsprechend. In den Meetings mit der Belegschaft berichtete sie, wie wichtig es gerade jetzt ist, die eigenen Batterien aufzuladen, Selbstfürsorge walten zu lassen und nicht aus falsch verstandener Loyalität zurück zu stecken. Ihre Berichte vom Abschalten vor und nach dem Urlaub machte Schule und viele folgten dem Beispiel.
  3. Durch Ausprobieren: Nicht jede Veränderung ist greifbar, spürbar oder erlebbar. Das „Drüber-Reden“ macht es auch nicht besser, sondern schürt Ängste. Manchmal hilft es, das Unbekannte einfach zu tun und zu probieren. Experiment statt Endlosdiskussion. Wer schwimmen können möchte, muss sich ins Wasser trauen. Da hilft alles Trockentraining nichts. Mit der Gefahr, dass es am Anfang nass, kalt, und vielleicht unangenehm ist, wie im Change. Und nach den ersten paar Versuchen haben die Betroffenen so viel erlebt, dass auf neuer Basis bessere Diskussionen möglich sind.

Eine vierte Möglichkeit, nämlich durch das Sammeln von Fragen und echtem Zuhören lesen Sie im Artikel
„Angst vor echter Transformation?“ 

Angst vor echter Transformation?

Wie Sie Ihre Organisation vor „Zebrofanten“ bewahren.

Irritation ist gut. Sagt die systemische Theorie. Denn durch sie hinterfragen wir Gewohntes und Routinen, um durch Reflexion besser zu werden. Nun, die Pandemie ist eine gewaltige Irritation und hat nicht wenige Unternehmen und Organisationen heftig durchgebeutelt: Geschäftsmodelle hinterfragt, Prozesse über den Haufen geworfen, Teams verunsichert. Leider beobachten wir, dass das Reflektieren und Hinterfragen, das die positive Begleiterscheinung der Irritation sein sollte, nicht immer funktioniert. Da wird der Wunsch nach Erhalt des Bekanntem übergroß. Oder einzelne Adaptionen werden sofort unreflektiert übernommen und integriert. Was dabei herauskommt? Sehr oft ein „Zebrofant“ – das bisherige Modell mit einigen neuen Streifen. Nachhaltig geht anders.

Aus der Finanzkrise 2008 haben viele Organisationen zwar Learnings gezogen, ein echter Systemwandel hat nicht stattgefunden. Jetzt könnte sich das ändern. Aber wie sichern wir, dass es dieses Mal klappt?

Zum einen, indem wir uns bewusst werden: „Normal“ wird es nie mehr werden. Der Wunsch nach einer Rückkehr ins Jahr 2019 klingt verständlich, dem ist aber ein Riegel vorzuschieben. Denn wenn wir ehrlich sind: „normal“ gab es auch damals nicht
(mehr im Artikel „Never normal“ ). Wenn wir uns gedanklich nach vorne statt nach hinten polen, dann ist der erste Schritt gesetzt, um unsere Adaptionsfähigkeit wachsen zu lassen.

Zum anderen wäre es hoch an der Zeit, alle offenen Fragen zu sammeln und mit den Betroffenen darüber in Dialog einzutreten. Nur gemeinsam mit jenen, die das „bessere Normal“ bauen sollen und die an einer resilienten Organisationskultur mitwirken, kann es gelingen.

Je nach den Fragen, die wir stellen, werden wir Antworten finden. Daher: Lassen Sie Fragen zu – je mehr je besser. Wir fragen uns und unsere Kunden derzeit: Wie wollen wir hybride und virtuellen Teams spüren? Wie schaffen Führungskräfte das Schnittstellen- und Prozessmanagement der Zukunft – was sind überhaupt noch Führungsaufgabe? Was hat alles in einer Organisation parallel Platz: agile und projektbasierte Formen parallel zur Linienform? Was bedeutet das für eine (neue?) Machtverteilung, wenn Selbstorganisation auf hierarchische Entscheidungspfade trifft? Und was macht das alles mit unserem Kern(business)?

Wenn sie dann die passenden Fragen gesammelt haben, hören Sie Ihren Kolleg*innen und Mitarbeitenden, hören Sie den Kund*innen und Ihrem Inneren wirklich gut zu. Dabei könnten Sie sich an Marshall Rosenberg orientieren, der dazu meinte: „Das größte Kommunikationsproblem ist, dass wir nicht zuhören, um zu verstehen, sondern zuhören, um zu antworten.“

Die Antworten werden folgen. Haben Sie Mut, denn das ist die Voraussetzung für echte, nachhaltige Transformation.