Archiv für den Monat: Juni 2020

Vorausschauende Rückschau

Abraham Lincoln wird das zukunftsweisende Zitat zugeschrieben: „The best way to predict the future is to create ist.“ (Die beste Möglichkeit, die Zukunft vorherzusagen, ist zu gestalten.) In Zeiten, die unplanbar und ungestaltbar scheinen, ist das eine mehr als große Herausforderung. Daher zeige ich Ihnen hier Methoden, wie Sie die Zukunft konkreter, erlebbarer und beschreibbarer machen – und damit hoffentlich gestaltbar.

Horx-Wort: Regnose

Während der Corona-Zeit wurde der Zukunftsforscher Mathias Horx mit dem Begriff der Regnose bekannt. Es handelt sich um ein Kunstwort aus Prognose und der Vorsilbe „re“ für zurück. Die Regnose setzt sich ein konkretes Datum in der mittelbaren Zukunft und beschreibt in Erzählform, wie die Zeit zwischen dem echten Heute und der fiktiven Gegenwart erlebt und bewältigt wurde. Einige Tourismusregionen haben sich schon davon inspirieren lassen und ihre Regnosen aus dem September 2020 veröffentlicht: so hat die Region Wagrain-Kleinarl die Zeit zwischen März und September 2020 genutzt, um sich neu zu definieren. Sie beschreiben die Schmerzen des Zurückfahrens und die Ablöse von nicht-passenden Beziehungen bis hin zur Stärkung der Dorfgemeinschaft und des Vereinslebens.

Wiki aus der Zukunft

Sehr ähnlich wie die Regnose ist die Methode des Zukunfts-Wiki, eines Wikipedia-Eintrages, der so verfasst ist, als würde er in zwei, drei Jahren von jetzt an geschrieben worden sein. Wikipedia-Artikel sind weniger blumig formuliert als Regnose-Gedanken, sondern basieren auf nachvollziehbaren und nachprüfbaren Quellen. Der Stil ist trocken und klar – und damit konkreter. In einem Wikpedia-Artikel finden sich Beschreibungen, wie Krisen überwunden wurden, und Hinweise zu Maßnahmen, die Erfolg hatten. Vielleicht kommt man über diesen Kunstgriff zu wirklich eindeutigen Bildern, welche Optionen welche (positive) Kraft hatten.

Future-Fiction

Im Gegensatz zu einem Blick retour aus der Zukunft geht die Methode „Future fiction“ gedanklich in die – zumeist weit entfernte – Zukunft. Angelehnt an Science Fiction Romane darf die Phantasie durchaus einmal ungezügelt loslaufen; technische Entwicklungen, Umbrüche, neue gesellschaftliche und soziale Entwicklungen dürfen übersteigert werden. Wenn Sie Ihr Arbeitsleben ins zehn, zwanzig, dreißig Jahren beschreiben, was würden Sie unter der „Future Fiction“-Brille sehen? Künstliche Intelligenz, die Ihren Job macht? Grundeinkommen für alle? Eine Klimakatastrophe oder haben wir 2020 die Klimawende geschafft? Ob der gedankliche Vorgriff utopisch oder dsytopisch ist, entscheiden die einzelnen Autor*innen oder das Team?

Wann können Sie diese Zukunfts-Techniken einsetzen?

Sie helfen beim gemeinsamen Brainstormen im Team, um einerseits das Morgen greifbarer zu machen und vor allem, um Lösungen zu identifizieren. Wie haben Sie als Team agiert, um die Zukunft planbarer zu machen? Was haben Sie als Organisationen an Maßnahmen gesetzt, um Diversität, und Inklusion zu leben und nicht nur zu wünschen?

Die beschriebenen Techniken sind auch für Expert*innen-Gremien einsetzbar. Die Industriellenvereinigung hat zwischen 2018 und 2020 zwölf Expert*innen regelmäßig zum Austausch und Dialog gebeten. In jeder Teildisziplin gab es Annahme und Prognosen, die Zukunft bis 2033 vorherzusehen. Im gemeinsamen, übergreifenden Austausch änderten sich aber Perspektiven und Sichtweisen – vor allem, wenn wir sie aus der Zukunft zurück denken. Auch für partizipative Prozesse – sei es im öffentlichen Bereich oder unternehmensintern – sind die Techniken anwendbar: Was machte Ihre Gemeinde, Ihr Verein im Rückblick besonders gut? Und schon gelangen Sie gestärkt voraus in die Zukunft.

Was bedeutet I-Methodology und wie entkommt man ihr?

Eine geraume Zeit dachte man, Maschinen seien vorurteilsfrei und treffen damit objektivere Entscheidungen als Menschen. Künstliche Intelligenz sollte das wettmachen, was uns bei Personaleinstellungen, Beförderungen oder Finanzentscheidungen leitet: das Bauchgefühl, die Sympathie, der Gefühlsüberschwang. Roboter, so die Annahme, würden Menschen nur aufgrund ihrer Qualifikation und Passung zur Aufgabe einstellen und sind neutral gegenüber Unconscious Biases, den unbewussten Vorurteilen wie Ähnlichkeiten.

Falsch gedacht! Künstlich Intelligenz ist immer nur ein Abbild derer, die sie programmieren. Und das sind je nach Programmierteam zum Beispiel junge, weiße Männer mit ähnlicher Schul- oder Studienlaufbahn oder andere in sich geschlossene Gruppen. Mit allen Vorurteilen, die der jeweiligen Gruppe anhaften. In der IT wird dieses Phänomen als I-Methodology bezeichnet; das I steht für das eigene Selbst, die eigene Lebenserfahrung und Kenntnisse daraus.  In der “I-Methodik” ist es laut Forschern so, dass der Programmierer oder (seltener) die Programmiererin eigene Vorlieben und Fähigkeiten als Leitfaden oder Maßstab heranzieht und diese – meist nicht absichtlicht, sondern unbewusst – in die Produkterstellung einfließen. Ein Beispiel dafür sind frühe Spracherkennungssysteme. Die künstliche Intelligenz konnte weibliche Stimmen nicht erkennen, da die Designer ausschließlich mit (und damit für) andere Männer entwickelten und programmierten.

Die angebliche neutrale Technologie ist also gar nicht neutral. Diesen Aspekt zu erkennen, ist bereits der erste Schritt zu seiner Bewältigung. Bei neuen Technologien wird es zunehmen zum Ziel, Unterschiede wie soziale, physische oder geschlechterspezifische, kulturelle, Klassen- und Altersunterschiede zu berücksichtigen. Im Teamkontext ist das Erkennen, dass das eigene Ich uns ganz gern auf „die anderen“ schließen lässt – und damit viel Eigenschaften, Vorlieben, Erfahrungen, Stärken anderer ausblendet – schon ein erster guter Schritt. Jede und jeder von uns lebt in ihrer oder seiner Echokammer. Nur, wenn wir uns aus unserer eigenen Welt hinaus bewegen und den anderen zuhören, teilhaben lassen, den anderen im Anderssein akzeptieren, dann bewegen wir uns in Richtung einer diversen, inklusiven Gesellschaft.

Wenn Sie mehr über das Thema lesen wollen, haben wir hier zwei passende Artikel für Sie zusammengestellt:

Wenn Sie Interesse an Workshops zum Thema Unconscious Bias haben oder eine Kulturveränderung in Ihrem Unternehmen anstoßen wollen, reden Sie mit uns. Wir haben Expertise im Thema selbst und mit dem Schwerpunkt Change die passende Kombination.

 

Wie retro ist das „neue Normal“?

Beobachtungen aus der Corona-Zeit

Die Themen Gleichberechtigung und Gleichbehandlung vor Corona entsprechen nicht den beiden Themen nach Corona. Die Krise hat etwas bewirkt: Sie hat wie ein Brennglas jene Aspekte verstärkt, die zuvor schon auf wackeligen Beinen standen oder nicht funktioniert haben. War die Verteilung zwischen bezahlter und unbezahlter Arbeit zwischen Frauen und Männern vor der Corona-Krise ungleich verteilt, so ist die Aufteilung in und nach der Krise noch traditioneller geworden. Das legen Befragung der Universität Wien im Corona-Panel von Mitte Juni 2020 nahe: Besonders ausgeprägt zeigte sich das geschlechtsspezifische Ungleichgewicht von bezahlter und unbezahlter Arbeit in Familien mit Kindern im Kleinkind- und Vorschulalter (0-5 Jahre). Obwohl die Gesamtarbeitszeit unter Müttern und Vätern ähnlich hoch war, haben Mütter einen größeren Teil ihrer Zeit für unbezahlte Arbeit verwendet als Männer. Bei Schulkindern übernahmen Frauen – egal ob in Teilzeit oder Vollzeit arbeitend – einen großen Teil der Haushaltsarbeit und des Home-Schoolings. Bei Vollzeit erwerbstätigen Müttern führte diese Übernahme an Zusatzaufgaben zu einer höheren Gesamtarbeitszeit und damit stärkeren Belastung als in Vollzeit erwerbstätigen Vätern.

Die Ökonomin Katharina Mader der Wirtschaftsuniversität Wien führt derzeit Befragungen zum Anteil der unbezahlten Arbeit und zur Belastung während der Krisenzeit durch. Ihre erste Ableitung lautet, dass Väter zwar durch die Zeit des Home-Office mehr Einblick in die unbezahlte Arbeit erhalten und den Aufwand dieser Tätigkeiten neu einschätzen lernen, dass gleichzeitig aber klassische Rollenbilder sich verstärken.

In Deutschland ist bereits von einer Retraditionalisierung die Rede. Jutta Allmendinger, Präsidentin des Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) und Professorin für Bildungssoziologie und Arbeitsmarktforschung an der Humboldt Universität Berlin beobachtet die Rückkehr zu alten Rollenmustern in Familien: „Der Mann geht arbeiten oder zieht sich ins Homeoffice zurück, die Frau kümmert sich um Kinder und Haushalt und ist damit urplötzlich zurück an den Herd katapultiert.“

Um diese und mehr Aspekte wird es bei unserem Salon-Frühstück Breite Gasse am 9. Oktober 2020 gehen: Welche Beobachtungen haben Sie gemacht? Welche „Aushandlungs-Prozesse“ fanden in Ihrem Leben statt? Wie haben Sie das Leben in den eigenen vier Wänden mit Arbeit, Haushalt, Partnerschaft und mit Kinderbetreuung neu gemanagt? Wir sehen uns die Zeit vor Corona mit zwei jungen Wissenschafterinnen an, die über Coping-Strategien forschten. Und wir sehen auf die Zeit nach Corona – und wollen am Thema „draufbleiben“. Denn meist „passieren“ neuer Abläufe und Zuständigkeiten aus der Krise heraus ganz einfach und manifestiert sich unausgesprochen. Was uns die Krise nämlich zeigt: Konstrukte, die rasch (in der Not) entstanden sind, können sich dauerhaft halten. Damit wir nicht in die Retro-Zeit zurückkatapultiert werden, dazu braucht es eine gute gemeinsame Beobachtung und aktive Handlungen.

Melden Sie sich an: WEBINAR zum Thema „Vereinbarkeit in Zeiten von Corona“. Die Veranstaltung führen wir im Rahmen von DIVÖRSITY durch.