Archiv für den Monat: Juni 2025

Verhaltensökonomie: Im Einsatz für gutes Change Management

Jeder Change Verantwortliche hat es schon erlebt: Mitarbeitende entscheiden selten rational im Vertrauen auf die Argumente des Managements, sondern lassen sich stark von Emotionen leiten. Kognitive Verzerrungen und soziale Einflüsse bestimmen unser Handeln oft stärker als logische Überlegungen. Das erkannte bereits Adam Smith im 18. Jahrhundert. Doch der Durchbruch der Verhaltensökonomie kam erst in den 1970er Jahren mit Daniel Kahneman und Amos Tversky, die mit der Prospect Theory zeigten: Verluste schmerzen uns mehr als gleich große Gewinne erfreuen (Verlustaversion). Für diese Forschung erhielt Kahneman später den Nobelpreis.

Verlustaversion und der Umgang mit Veränderungen

Im Change Management zeigt sich: Mitarbeitende fürchten oft mehr, was sie verlieren könnten, als dass sie sich über mögliche Gewinne durch Veränderungen freuen. Wer Veränderungen kommuniziert, sollte deshalb nicht nur Vorteile betonen, sondern auch die Risiken des Nicht-Handelns klar machen – etwa den Verlust von Wettbewerbsfähigkeit. Studien zeigen, dass solche Formulierungen die Bereitschaft zur Veränderung deutlich erhöhen können.

Mitmachen lassen und Spaß haben: Vom „IKEA-Effekt“ bis Nudging

Menschen schätzen Dinge, an denen sie selbst mitgewirkt haben, deutlich höher ein. Experimente und Praxisbeispiele – etwa aus der Finanzbranche – zeigen, dass selbst kleine Spielräume für eigene Beiträge die Akzeptanz von Veränderungen enorm steigern. Wer Mitarbeitende aktiv beteiligt, sorgt für mehr Identifikation und geringere Widerstände.

Nudging wiederum sind kleine Anstöße mit großer Wirkung. Mitarbeitende oder Bürgerinnen werden durch kleine, gezielte Impulse zu gewünschtem Verhalten bewegt, ohne sie zu bevormunden. Spielerische Anreize wie der musikalische Mülleimer am Flughafen in Kopenhagen, der beim Einwerfen von Abfall Melodien erzeugt, fördern nachhaltige Verhaltensänderungen. Auch der Hinweis auf soziale Normen – „Die Mehrheit nutzt schon das neue System“ – kann die Bereitschaft zur Veränderung erhöhen.

Praxistest im Frühstücks-Salon im Mai 2025

Bei unserem 18. Frühstücks-Salon des „Team Salon Breite Gasse“ am 28.5.2025 beleuchteten wir die Erkenntnisse der Verhaltensökonomie mit Change Verantwortlichen aus dem Gesundheits- und Universitätsbereich, mit Arbeitsmarkt-Verantwortlichen und Wirtschaftstreibenden. Ihre Erfahrungen aus der Praxis zusammengefasst:

• Das Werkzeug „Partizipation“ ermöglicht Gestaltungsspielräume, aber muss wirklich immer bis zu Ende gedacht werden. Wieviel und welche Form der Mitarbeiter*innen-Partizipation verträgt die Organisation und das mittlere Management?
• Nudging ist als Konzept bekannt, aber noch nicht gezielt eingesetzt. Hier braucht es noch Experimentier-Räume und gute Ideen, um neue Verhaltensweisen zu fördern.
• Risiken und Verluste des Status quo klar kommunizieren: nicht Angst machen, sondern ein klares Problembewusstsein schaffen. Das setzt aber konsequente Kommunikation top-down mit echten Zahlen voraus, die in der volatilen Wirtschaftslage derzeit schwanken.
• Mehr emotionale Dynamiken im Team berücksichtigen und Raum für Gefühle lassen. Führungskräfte brauchen Schulung in Bezug auf das Emotionen-Management.

Bildquelle: ChatGPT erstellt am 4.06.2025

Kultur-Change: Ein Tag Chef*in sein

Was würden Sie tun, wenn Sie einen ganz Tag lang mit der obersten Instanz Ihrer Organisation tauschen würden? Mehr Gehalt für alle bewilligen? Eine Führungsebene abschaffen oder einfach nur Da-Sein?

Das Prinzip „CEO of the Day“, bei dem Mitarbeitende für einen Tag die Rolle des CEO übernehmen und Entscheidungen treffen dürfen, wurde in den USA von der Digital-Firma Vincit realisiert. Es ist dort ein fester Bestandteil der Unternehmenskultur und wurde zur Förderung der Mitbestimmung aller Mitarbeitenden eingeführt. Jede*r kann sich bewerben – unabhängig von der Hierarchie oder Funktion – und für einen Tag tatsächlich die Rolle des CEO übernehmen und Entscheidungen treffen. Auch finanzielle!

Europäische Firmen haben sich das Programm als Vorbild genommen, etwa die Schweizer Großbank UBS, die niederländische Heineken oder Adecco (Schweiz/Frankreich). Dabei werden allerdings nicht die „Sesseln“ von CEO und Mitarbeitenden tatsächlich gewechselt, sondern ausgewählten Nachwuchstalenten die Möglichkeit gegeben, einen Tag lang den CEO zu begleiten. So bekommen diese Einblicke in strategische Entscheidungen und können eigene Ideen im direkten Gespräch einbringen. Konkrete, herausragende wirtschaftliche oder kulturelle Durchbrüche, die direkt auf solche Programme zurückgeführt werden können, sind jedoch – noch – nicht dokumentiert.

Also: wer aus Österreich traut sich den echten Wechsel zu?

Psychologische Sicherheit: Kein Kuschelkonzept

Amy Edmondson, die Begründerin des Konzepts der psychologischen Sicherheit, stellt im aktuellen Harvard Business Review (What People Get Wrong About Psychological Safety) klar, dass ihr Ansatz häufig missverstanden wird. Viele Unternehmen interpretieren psychologische Sicherheit fälschlicherweise als ein Umfeld, in dem sich alle wohlfühlen, Harmonie herrscht und Kritik vermieden wird. Das sei jedoch nicht der Kern der Idee.

Tatsächlich beschreibt psychologische Sicherheit ein Arbeitsklima, in dem sich Mitarbeitende trauen, Fragen zu stellen, Fehler zuzugeben, Bedenken zu äußern und neue Ideen einzubringen – ohne Angst vor negativen Konsequenzen wie Bloßstellung oder Sanktionen.

Keine Ausrede für Leistungsschwäche

Edmondson betont, dass psychologische Sicherheit kein Freifahrtschein für mangelnde Leistung oder respektloses Verhalten ist. Sie ersetzt nicht die Notwendigkeit von klaren Leistungsstandards und Verantwortlichkeiten. Vielmehr schafft sie die Grundlage dafür, dass Teams offen miteinander kommunizieren, ehrlich Feedback geben und gemeinsam aus Fehlern lernen können.

Gerade in einer zunehmend komplexen und dynamischen Arbeitswelt ist die Fähigkeit, sich offen auszutauschen und voneinander zu lernen, ein zentraler Erfolgsfaktor. Teams mit hoher psychologischer Sicherheit sind innovativer, anpassungsfähiger und meistern Herausforderungen gemeinsam besser.

Psychologische Sicherheit ist kein „Kuschelkonzept“, sondern ein Motor für Leistung und Innovation. Sie entsteht durch eine respektvolle offene Feedbackkultur und klare Erwartungen – nicht durch Harmonie um jeden Preis. Organisationen, die diese Form der Zusammenarbeit fördern, profitieren langfristig von engagierten, lernbereiten und leistungsfähigen Teams.

Bildquelle: ChatGPT erstellt am 4.06.2025