Archiv des Autors: Gerhild Deutinger

Gendersensible Sprache: Lösungsansätze für Organisationen

Von der Arbeit mit Schrägstrichen, Gendersternchen, verpflichtenden
Schulungen und freiwilliger Umsetzung. 

Für eine Sprache, die inkludiert, gibt es vielfältige Gestaltungsmöglichkeiten: von der
Nennung beider Geschlechter, über Binnen-I, Underscore und Gendersternchen bis hin zu
neutralen Formulierungen, um auch Personen, die sich nicht einem männlichen oder
weiblichen Geschlecht zugehörig fühlen, einzubeziehen.

Wie unterschiedliche Organisationen mit diesem Thema umgehen und welche Lösungen
sie jeweils gefunden haben, diskutierten Martina Friedl und Gerhild
Deutinger gemeinsam mit Dr. Andreas Heindl, Leiter der Abteilung Schulung und
Personalentwicklung des ORF, Louisa Holub, DSA, Diversity Beauftragte der Technischen
Universität Wien und einer Vielzahl von Verantwortungsträger*innen aus den Bereichen
HR, PE, OE, Diversity Management unterschiedlicher Organisationen.

Die wichtigsten Kernaussagen haben wir hier für Sie zusammengefasst:

1. Initiative braucht Unterstützung:
In beiden Organisationen, ORF und TU Wien, starteten Initiativen auf Ebene der
Mitarbeiter*innen, die die Notwendigkeit nach einer inklusiven Sprache in Wort und Bild
betonten und voranbringen wollten. In beiden Organisationen wurden diese Initiativen
durch Entscheidungsträger*innen – Direktion und Rektorat – unterstützt. Parallel dazu
mussten beide Stellen auch gesetzlichen Vorgaben gerecht werden und gaben daher
Veränderungen top-down in Auftrag.

2. Verpflichtung oder Freiwilligkeit?
Von beiden Gästen als wichtiger Erfolgsfaktor für die Praxis wurde ein breit angelegter
Diskussionsprozess in der Organisation genannt und eine gewisse Konstanz, mit der
Maßnahmen zur Sensibilisierung und Bewusstseinsbildung gesetzt werden.
Der ORF setzt seit über zehn Jahren auf verpflichtende Schulungstage der Führungskräfte
zum Thema Gender Kompetenz und hat damit sehr gute Erfahrungen gemacht. Auch an
der TU Wien gibt es Angebote im internen Weiterbildungsprogramm. Seminare zum
Thema Gender Kompetenz und Diversity stoßen auf großes Interesse.
Dennoch sind die interne Umsetzung und auch die Umsetzung pro Redakteur*in freiwillig.
„Das Redaktionsstatut würde uns nichts anderes erlauben. Journalist*innen sind
unabhängig“, so Andreas Heindl. Mit dem Nachsatz: Sensibilisierung erreicht viele
Redaktionen, die dann für sich das Thema weiterdenken.

3. Nah an der Mitarbeiterwelt sein:
Beide Gäste betonten, dass Erfolg einen langen Atem braucht und nah an den
Mitarbeitenden sein soll. Louisa Holub berichtete, wie sich aktuell die TU Wien mit den
Bedürfnissen von Personen beschäftigt, die sich dem „dritten Geschlecht“ zuordnen
(nicht-binäre Personen). Zwei von insgesamt vier Personen in Österreich, die vom Recht
der Eintragung des dritten Geschlechts Gebrauch gemacht haben, sind Mitarbeitende der
TU Wien. Damit geht es neben der genderneutralen Sprache auch um eine
genderneutrale Infrastruktur (Toiletten) und IT-Umgebung (z.B. Geschlechteroptionen in
SAP).

4. Empfehlungen und Regelungen, die etabliert wurden:
Aktuell setzt die TU Wien auf den Underscore (z.B. Teilnehmer_innen). Ein Leitfaden zur
genderneutralen/gendersensiblen Sprache ist gerade in Ausarbeitung. Dieser empfiehlt
zusätzlich genderneutrale Formulierungen (z.B. Werte Teilnehmende statt Werte Damen
und Herren). All diese Regelungen gelten für Mitarbeitende und die interne
Kommunikation als Empfehlung. Während sie in der offiziellen Kommunikation des
Rektorats und der Vize-Rektorate als Regel zur Anwendung kommen.
Im ORF wird aktuell der Schrägstrich bzw. die Erwähnung beider Geschlechter
empfohlen, immer unter Berücksichtigung eines möglichst barrierefreien Layouts, des
vorhandenen Platzes (z.B. Website) und der anzusprechenden Zielgruppe.

5. Der Blick nach außen:
Beide Gäste des Frühstücks-Salons berichten von einer großen Aufgeschlossenheit
gegenüber dem Thema und auch dem Wunsch nach einem einheitlichen Auftritt. Ein Tipp
von Andreas Heindl zum Abschluss: „Hilfreich ist auch hier immer wieder der Blick auf
ähnliche, gleiche Organisationen. Im direkten Vergleich etwa mit der ARD haben wir viel
für uns mitnehmen können.“

Wie Spaltungen in Teams entgegenwirken?

Ein Nachbericht zum Frühstücks-Salon von Martina A. Friedl und Gerhild Deutinger vom 1.12.2021

Unserem Bericht, wie Österreichs Führungskräfte und Personalverantwortliche Spaltungstendenzen in Teams durch die 3G-Regelung, durch Impflicht oder vielleicht in naher Zukunft Klimathemen begegnen, stellen wir eine Begriffsklärung des Schriftstellers Jochen Schimmang voran. Er hat im Auftrag der Heinrich-Böll-Stiftung im Herbst vor einem Jahr (November 2020) folgendes verfasst:

Alle Gemeinschaften sind exklusiv, indem sie definieren, wer zu ihnen gehört und wer nicht, und sie sind jederzeit auf der Suche nach dem Feind in den eigenen Reihen, dem Abweichler und Spalter. Eine Gesellschaft hingegen ist per definitionem zunächst einmal nicht exklusiv, sondern eine in sich sehr differenzierte Struktur. Gesellschaft ist etwas, was nicht gespalten werden kann, sondern was schon vielfach differenziert und fraktioniert ist: in arm und reich, Besitzende und Besitzlose, Stadt und Land, (…): Eine Gesellschaft ist das genaue Gegenteil eines so heimeligen und wärmenden Gebildes wie der Gemeinschaft. [1]

Gut, eine Gesellschaft ist laut obiger Definition im Gegensatz zu einer Gemeinschaft nie homogen, sondern immer in sich aufgespalten. Was bedeutet dies nun für Teams in den Betrieben, Vereinen und Organisationen? Hier versucht man ja bewusst die Diversität zu nutzen und gleichzeitig die Gemeinsamkeit für ein Ziel in den Vordergrund zu stellen. Wie wirken sich nun die Haltungen und Positionen einzelner Teammitglieder zu Corona aus? Hat sich der Zusammenhalt von Teams in den vergangenen zwei Pandemie-Jahren verändert?

Unsere Gäste beim Frühstücks-Salon berichteten über unterschiedliche Ängste bei ihren Mitarbeitenden, neue Vorurteile und wechselseitige Verletzungen, die durch unbedachte Äußerungen entstehen. Zu hören war auch, dass der emotionale Zustand in den Teams für Führungskräfte nur schwer wahrnehmbar sei, weil während eines Lockdowns Mitarbeitende quasi „verschwinden“. Hinzu kommen noch die ganz persönlichen Gefühle der Führungskraft, die manchmal einem rein „sachlichen“ Umgang mit der Situation im Wege stehen. All dies beeinträchtigt in manchen Teams den Zusammenhalt, das Miteinander und die gegenseitige Motivation.

Martina Friedl und Gerhild Deutinger stellen hier mögliche Ansatzpunkte vor, um Spaltungen im Team zu vermeiden und (wieder) konstruktiv zu arbeiten:

  1. Stellen Sie das WIE, nicht das WARUM in den Diskussionsfokus. Als Führungskraft können Sie viel Zeit damit verbringen, die Sinnhaftigkeit von Impfpflichten am Arbeitsplatz oder Maskentragebestimmungen zu diskutieren. Sie können diese Zeit abkürzen und das Team um Vorschläge ersuchen: WIE setzen wir bei uns die aktuelle Verordnung um? WIE achten wir darauf, dass sich alle im Team sicher fühlen – unabhängig von der eigenen Meinung?
  2. Behalten Sie eigene Emotionen und Meinungen (derzeit) für sich. Als Führungskraft müssen Sie aktuell Wege finden, um die eigenen Emotionen bezüglich Impfskeptiker*innen oder Verschwörungstheoretiker*innen (im Team) an anderer Stelle zu bearbeiten. Das Arbeitsumfeld braucht derzeit inmitten all der Veränderung im Inneren Stabilität, Berechenbarkeit und Sachlichkeit. Halten Sie es mit Niklas Luhmann, der meinte, die einzige Aufgabe von Organisationen seit die „Unsicherheitsabsorption“, nämlich Unsicherheit von den Mitgliedern fernzuhalten. Eigene Unsicherheitsbekundungen und Polarisierungen durch Vorgesetzte sind derzeit kontraproduktiv.
  3. Fragen statt sagen. Kommunikation heißt auch zuhören und eine fragende Haltung einnehmen. Gerade bei Mitarbeiter*innen, die derzeit orientierungslos oder mit Verschwörungstheorien in Kontakt gekommen sind, braucht es ein „Im-Gespräch-bleiben“. Hilfreich, so auch Ingrid Brodnig, Autorin des Buches „Einspruch! Verschwörungsmythen und Fake News kontern – in der Familie, im Freundeskreis und online“ ist eine offene fragende Haltung. Stellen Sie Fragen wie: „Auf welche Quelle beziehst Du Dich?“ oder „Kann man dieser Quelle vertrauen?“ „Gibt es Faktenchecks?“. Bieten Sie außerdem andere Meinungen an und fragen Sie: „Was sagst Du zu diesen, anderen Positionen?“
  4. Legen Sie den Fokus auf ein gemeinsames Ziel. Jede Organisation hat irgendein noch immer gültiges Ziel, auch, wenn Strategien in der Pandemie angepasst werden müssen. Es gibt einen Sinn und Zweck der Organisation, der Antwort auf die Frage gibt: Warum ist unsere Arbeit wichtig? Erreichbare Teamziele, auch sehr kurzfristig angelegte wie Wochensprints, können helfen, die Phase der Unsicherheit zu verkürzen und sich gemeinsam auf ein Thema abseits von Corona zu konzentrieren.

Für alle, die beim Frühstücks-Salon dabei waren, sind unsere präsentierten Charts – hier zum Download – eine gute Gedankenstütze. Für alle anderen: Fragen Sie uns, sprechen Sie uns an: Wir bieten Begleitung durch die Pandemie für Ihr Team und Ihre Organisation.

[1] Mehr unter https://www.boell.de/de/2020/11/19/spaltung-der-gesellschaft-versuch-einer-begriffsklaerung)

 

Machen Sie nicht den Apple-Google-Fehler

Wir schreiben April 2021. Apple und Google geben ihre Rückkehrpläne aus dem Home-Office für die Belegschaft geltend ab 1. Juli 2021 bekannt. In einem internen Google-Memo an die amerikanischen Mitarbeiter*innen etwa wurde verlautbart, dass sie mindestens drei Tage pro Woche in die Büro zurück zu kehren haben und alle, die nach dem 1. September mehr als 14 Tage pro Jahr remote arbeiten wollen, einen Antrag stellen müssten. Ähnlich lautete die Apple-Vorgabe an die Mitarbeitenden, die an Montagen, Dienstagen und Donnerstagen ab Herbst in die Büros zurück kommen sollten – was mit einer Kündigungswelle quittiert wurde. (Mehr hier.)

Nach einem Aufschrei unter der Belegschaft haben beide Firmen zurückgerudert und neue Vereinbarungen geschaffen.
(Mehr in diesem CNN-Bericht)

Wie kam es zu diesem Vorstoß und seiner Rücknahme? Bei den Unternehmen waren alle Führungskräfte (also mehrere tausend Menschen) an der Entwicklung der Rückkehr-Regelungen beteiligt. Ihnen ist der Wunsch der Angestellten nach flexibler Arbeitszeit und -form, nach remote work, nicht aufgefallen. In einem offenen Brief der Mitarbeitenden heißt es: „Over the last year we often felt not just unheard, but at times actively ignored…“ Als gäbe es eine Trennung zwischen dem Führungsteam und den Mitarbeiter*innen, eine gläserne Decke der Nicht-Kommunikation und des Nicht-Verstandenwerdens.

Die Verhaltensökonomie hat eine Erklärung dafür und nennt das den Ankereffekt. Menschen – in unserem Fall Führungskräfte – haben sich bei ihrer Entscheidung stark von den unmittelbaren Umgebungen und eigenen Wünschen leiten und lenken lassen, ohne das zu bemerken. Sie haben eigene Annahmen als Basis weiterer Überlegungen – als „Anker“ – genutzt. An ihnen orientierten sie sich für die Ausarbeitung der Pläne und für Entscheidungen. Im Beispiel Apple und Google kam es zu einer systematischen Verzerrung der Sichtweise in Richtung des Ankers. Deshalb: Raus aus dem eigenen (Führungs-)Kreis und zuhören. Wirklich zuhören! Mehr dazu im Artikel „Angst vor echter Transformation?“ 

 

Wie bewegt man eine träge Masse?

Vor kurzem in einem Veränderungstraining: eine junge Change Managerin verzweifelte. Sie habe schon alles versucht, aber die Veränderung in ihrer veränderungsresistenten Organisation funktioniere einfach nicht. Was also tun? Für alle, denen es so geht, hier ein paar Gedankenanstöße:

  1. Durch Beharrlichkeit und Wiederholung: Einmal gesagt ist noch lange nicht gehört und einmal gehört ist noch lange nicht verstanden und wo weiter… Sie kennen das Zitat. Dennoch: bei Veränderungen schrecken Verantwortliche gerne vor Wiederholungen zurück, vor allem, wenn auf die ersten Kommunikationsschritte keine Bravo-Rufe ertönen. Sollte hingegen ein Hinterfragen und erster Widerstand auftreten, schon ist der Change abgesagt. Wer Veränderung ernst meint, muss viel, wirklich viel kommunizieren. Immer und immer wieder. Muss den Dialog suchen und manch eine Beharrlichkeit an den Tag legen um zu beweisen, dass es dieses Mal ernst ist mit der Veränderung.
  2. Durch Vorbildwirkung: Jüngst erzählte eine liebe Freundin und Kundin, dass in ihrer Organisation der Abbau von Überstunden und Urlaubstagen während der Corona-Pandemie so wunderbar reibungsfrei funktioniert hatte. Gerade dieser Punkt ließ mich aufhorchen, hatten wir doch gerade das als Konfliktthema in manch einer Organisation in den vergangenen Monaten vernommen. Was hatte die Organisation meiner Freundin anders gemacht? Nun, die oberste Verantwortliche ist mit eigenem Beispiel vorangegangen und thematisierte es entsprechend. In den Meetings mit der Belegschaft berichtete sie, wie wichtig es gerade jetzt ist, die eigenen Batterien aufzuladen, Selbstfürsorge walten zu lassen und nicht aus falsch verstandener Loyalität zurück zu stecken. Ihre Berichte vom Abschalten vor und nach dem Urlaub machte Schule und viele folgten dem Beispiel.
  3. Durch Ausprobieren: Nicht jede Veränderung ist greifbar, spürbar oder erlebbar. Das „Drüber-Reden“ macht es auch nicht besser, sondern schürt Ängste. Manchmal hilft es, das Unbekannte einfach zu tun und zu probieren. Experiment statt Endlosdiskussion. Wer schwimmen können möchte, muss sich ins Wasser trauen. Da hilft alles Trockentraining nichts. Mit der Gefahr, dass es am Anfang nass, kalt, und vielleicht unangenehm ist, wie im Change. Und nach den ersten paar Versuchen haben die Betroffenen so viel erlebt, dass auf neuer Basis bessere Diskussionen möglich sind.

Eine vierte Möglichkeit, nämlich durch das Sammeln von Fragen und echtem Zuhören lesen Sie im Artikel
„Angst vor echter Transformation?“ 

Angst vor echter Transformation?

Wie Sie Ihre Organisation vor „Zebrofanten“ bewahren.

Irritation ist gut. Sagt die systemische Theorie. Denn durch sie hinterfragen wir Gewohntes und Routinen, um durch Reflexion besser zu werden. Nun, die Pandemie ist eine gewaltige Irritation und hat nicht wenige Unternehmen und Organisationen heftig durchgebeutelt: Geschäftsmodelle hinterfragt, Prozesse über den Haufen geworfen, Teams verunsichert. Leider beobachten wir, dass das Reflektieren und Hinterfragen, das die positive Begleiterscheinung der Irritation sein sollte, nicht immer funktioniert. Da wird der Wunsch nach Erhalt des Bekanntem übergroß. Oder einzelne Adaptionen werden sofort unreflektiert übernommen und integriert. Was dabei herauskommt? Sehr oft ein „Zebrofant“ – das bisherige Modell mit einigen neuen Streifen. Nachhaltig geht anders.

Aus der Finanzkrise 2008 haben viele Organisationen zwar Learnings gezogen, ein echter Systemwandel hat nicht stattgefunden. Jetzt könnte sich das ändern. Aber wie sichern wir, dass es dieses Mal klappt?

Zum einen, indem wir uns bewusst werden: „Normal“ wird es nie mehr werden. Der Wunsch nach einer Rückkehr ins Jahr 2019 klingt verständlich, dem ist aber ein Riegel vorzuschieben. Denn wenn wir ehrlich sind: „normal“ gab es auch damals nicht
(mehr im Artikel „Never normal“ ). Wenn wir uns gedanklich nach vorne statt nach hinten polen, dann ist der erste Schritt gesetzt, um unsere Adaptionsfähigkeit wachsen zu lassen.

Zum anderen wäre es hoch an der Zeit, alle offenen Fragen zu sammeln und mit den Betroffenen darüber in Dialog einzutreten. Nur gemeinsam mit jenen, die das „bessere Normal“ bauen sollen und die an einer resilienten Organisationskultur mitwirken, kann es gelingen.

Je nach den Fragen, die wir stellen, werden wir Antworten finden. Daher: Lassen Sie Fragen zu – je mehr je besser. Wir fragen uns und unsere Kunden derzeit: Wie wollen wir hybride und virtuellen Teams spüren? Wie schaffen Führungskräfte das Schnittstellen- und Prozessmanagement der Zukunft – was sind überhaupt noch Führungsaufgabe? Was hat alles in einer Organisation parallel Platz: agile und projektbasierte Formen parallel zur Linienform? Was bedeutet das für eine (neue?) Machtverteilung, wenn Selbstorganisation auf hierarchische Entscheidungspfade trifft? Und was macht das alles mit unserem Kern(business)?

Wenn sie dann die passenden Fragen gesammelt haben, hören Sie Ihren Kolleg*innen und Mitarbeitenden, hören Sie den Kund*innen und Ihrem Inneren wirklich gut zu. Dabei könnten Sie sich an Marshall Rosenberg orientieren, der dazu meinte: „Das größte Kommunikationsproblem ist, dass wir nicht zuhören, um zu verstehen, sondern zuhören, um zu antworten.“

Die Antworten werden folgen. Haben Sie Mut, denn das ist die Voraussetzung für echte, nachhaltige Transformation.

Was bitte ist schon „normal“?

Warum wollen alle in ein „new normal“? Es gab doch auch kein „old normal“.

Normalität scheint als das höchste zu erreichende Gut nach der Pandemie zu gelten. Aber was ist „normal“? Unilever – bekannt für Marken wie „Dove“, „Vaseline“ oder „Axe“ – verzichtet künftig auf den Begriff „normal“ für die Beschreibung von Pflegeprodukten. Rund 200 Hautpflege- und Haarprodukte werden umformuliert. Unilever möchte damit auf die Vielfalt (in dem Fall von Haut und Haar) hinweisen und ein Abweichen nicht negativ stigmatisieren.

„Normal“ war also bisher so etwas wie unsere Baseline, eine Nullmessung. Was dieser vermeintlichen „Normal-Linie“ entsprach, war gut. Alles, was diese Linie verlies, galt als nicht erstrebenswert. Wenn wir uns nun ins Jahr 2019 zurückversetzen, wie war denn damals „normale Führung“? Hand aufs Herz: auch die gab es nicht. Es gab eine Vielzahl von Führungsstilen, Organisationsformen und es gab VUCA; die Auseinandersetzung mit dem Führen, Arbeiten und Leben in einer sich ändernden Welt voll Widersprüche und Unwägbarkeiten. Die Sicherheit, nach der wir im „neuen Normal“ lechzen, gab es im früheren Normal auch nicht. Dennoch: wir haben Gestaltungsmöglichkeiten, die wir nutzen können!

Der Ort, an dem wir arbeiten, die Arbeitsform des Miteinanders, die Beziehungskultur im Hybriden und Digitalen, das alles sollten und müssen wir neu definieren. Jetzt wäre ein geeigneter Zeitpunkt, sich mit den Lehren und Learnings der vergangenen Monate zu befassen. Jetzt ist ein idealer Zeitpunkt, gemeinsam mit den Teams und den Mitarbeitenden die Zukunft der Arbeit zu definieren. Unter der Voraussetzung, dass es vielleicht kein „neues Normal“, sondern ein „besseres Normal“ oder sogar ein „ideales Miteinander im niemals Normal“ wird.

 

Anderer „Schuh“ – neue Perspektive

Wie ein temporärer „Schuhwechsel“ hilft, mehr Organisation-Verständnis zu entwickeln.

In Zeiten wie diesen ist jede und jeder auf die eigene Person, die eigene Familie oder das eigene Team in einer Weise zurückgeworfen, wie wir es selten hatten: die unmittelbaren Bezugspersonen sind mehr oder weniger omnipräsent und das eigene Tun wird zum zentralen Maßstab. Stemmen wir homeoffice+homeschooling optimal, weil unsere Familie eingespielt ist und die Kinder selbständig oder sogar schon ausgezogenen, dann nehmen wir an, anderen ginge es ebenso.

Um in Teams und Organisationen die Empathiefähigkeit (wieder) zu erhöhen und nach einer Zeit der Distanz die Zusammenarbeit zu verbessern, helfen Perspektivenübernahmen, die aus der Sozialpsychologie stammen. Es geht darum, den eigenen Betrachtungswinkel zu verändern, sich in andere Personen oder bestimmte Situationen hinein zu versetzen und andere besser zu verstehen. Diese aktive und bewusste Auseinandersetzung mit der Perspektive anderer hilft, mögliche Teamkonflikte zu minimieren und reduziert unbewusste stereotype Denkprozesse, die sich im Distanzarbeiten eingeschlichen haben.

Konkret funktioniert das so, dass eine Person oder ein Teil der Gruppe für eine genau definierte Zeit die Denkweise, die Aufgabe oder Handlung einer anderen Person oder eines anderen Teils der Gruppe übernimmt. Im Rollentausch stellen wir uns vor, wie es uns in „den Schuhen des oder der anderen“ gehen würde. Wir haben das vor kurzem mit zwei Führungsebenen durchgespielt, die für eine kurze Zeit in die obere bzw. untere Hierarchie-Ebene wechselte. Wie fühlt es sich an, Aufträge aus der jeweiligen anderen Führungsebene zu erhalten? Welche Sichtweisen und Wünsche hätte man in der neuen Rolle?

Diese Methode nutzen wir auch gerne, wenn es um das Bewusstmachen vielfältiger Sichtweisen und der Akzeptanz diverser Lebenswirklichkeiten geht. Oder wissen Sie genau, wie Ihr Arbeitsalltag von jemandem ohne Deutsch als Muttersprache oder einer Person mit eingeschränkter Bewegung oder mit einem anderen Kulturhintergrund bewältigt werden würde?

Ein COOLes digitales Symposium

So funktionieren Veranstaltungen digital rundum perfekt

Ein Keynote-Speaker, viele Workshops und spannender Austausch – klingt wie eine analoge Veranstaltung in Zeiten vor Corona? Ja. Geht aber auch digital! Genau das haben wir gemeinsam mit den Organisatorinnen der Bildungscommunity C.O.O.L. Mitte März 2021 bewiesen und eine dreitägige Biennale via ZOOM auf die Beine gestellt. Rund 120 Teilnehmende aus Österreich, Süd-Tirol, Deutschland und der Schweiz kamen vor ihre Bildschirme und lauschten, diskutierten, entwickelten und lachten – drei volle Tage lang.

COOL ist eine Lehrer*innen-Initiative, die auf Selbstbestimmung und Selbstverantwortung der Lernenden setzt und Kooperation zwischen Schüler*innen und Pädagog*innen als Erfolgskriterium sieht. Mehr auf www.cooltrainers.at.

Für das Veranstaltungskonzept der digitalen Biennale war ein großes Ziel, gemeinsam zu wachsen, sich intensiv zu vernetzen und Knowhow auszutauschen. Wir haben dies durch Abwechslung von Plenums- und Kleingruppenarbeit, durch verschiedene Moderationsmethoden aber auch durch Konstanz realisiert: über alle drei Tage hinweg wurden Padlets von den Teilnehmer*innen befüllt – sie wuchsen im Laufe der Veranstaltung. Ein Padlet widmete sich den Stärken, die in der Pandemie nochmals deutlicher wurden; ein weiteres hatte eine intensive Tauschbörsenfunktion.

Sogar die Keynote an Tag Eins war neu gedacht: der bekannte Autor und Philosoph Dr. Julian Nida-Rümelin hielt seine Keynote in 3*15 Minuten; zwischen den Teilen wurden gechattet und diskutiert. So konnte er mit den Teilnehmenden in den Austausch treten, worin die Antworten auf zunehmenden Fanatismus zu suchen ist und welche Rolle Humboldt in der Bildung heutzutage spielt.

Am zweiten Tag hatten die Teilnehmenden die Möglichkeit, unterschiedlichen Workshops beizutreten. Die Themenpalette reichte von multiplen Dimensionen der Bildungsräume bis zu Agilität bei Veränderungsprozessen. Immer wieder setzten wir interaktive Angebote und Abfragen ein. Spannend auch die Teilnahme von Schüler*innen, die hier den Pädagog*innen Rückmeldungen gaben und gleichberechtigt mitdiskutierten. Diese Möglichkeit Meinung und Ideen Jugendlicher zu hören, was für alle Teilnehmenden eine große Bereicherung war.

Der dritte Tag galt dem Thema Innovation: in rascher Abfolge könnten die Teilnehmer*innen von anderen lernen und gingen mit dem Ziel – zehn neue Kontakte pro Person – gestärkt aus der Biennale.

Neben den vielen interessanten Vorträgen und Inputs waren zwei Faktoren entscheidend für den Erfolg des digitalen Symposium: Beziehung und Emotionalität. Spaß, Austausch und Begegnung schafften wir u.a. über „Coffee-Breaks“ – aktive Pausengestaltungen von COOL-Pädagog*innen für alle Teilnehmer*innen. Musik zum Start und zwischen der Blöcken sorgten für ein Mitsingen, Tanken und Lachen. „Stammtische“ zu Mittag erlaubten es, das Plaudern, das bei Präsenztreffen nebenbei passiert, ein wenig zu imitieren.

In diesem Video zeigen wir Ihnen einige Eindrücke der COOL-Biennale und wie virtuelle Events by impulsbüro organisiert werden

Arbeitseindrücke Virtuelle Events

Unser Fazit: COOL ist eine wunderbare Initiative mit enormem Potenzial und noch wunderbareren Pädagog*innen. Die intensive Vorbereitung zwischen den Auftraggeberinnen und uns und deren Offenheit für Ideen hat diese Online-Veranstaltung zum Erfolgsmodell gemacht. Danke an Martina Piok und Erika Liebel sowie allen COOL-Moderator*innen.

COOL hat auch auf Facebook über uns berichtet – hier geht´s zum Bericht.

Wie ändert Covid das Veränderungsmanagement?

Vor kurzem wurde ich vom Verband der Privatkrankenanstalten zu meiner Einschätzung befragt, wie sich das Change Management und die Veränderungskommunikation durch die Pandemie verändert. Das Interview lesen Sie unten im Volltext oder auf der Website der Privatkrankenanstalten -> hier 

Interview mit Gerhild Deutinger über das Change Management in der Corona-Krise

Sie sind Expertin im Bereich Change Management – hat sich das Veränderungsmanagement durch COVID-19 selbst gewandelt? Und welche drastischen Maßnahmen hat die Corona-Pandemie in diesem Bereich gefordert?

Nun, zuerst müssen wir die Begriffe ein wenig auseinanderdividieren, bevor ich Ihre Frage beantworten kann. Die Pandemie ist eine klassische Krise mit allen Begleiterscheinungen. Am Beginn große Unsicherheit, der Wunsch nach einer zentralen Entscheidungskraft, die durch den Nebel navigiert. Dann kam das Fahren auf Sicht und das Lernen aus vielen kleinen Schritten. Noch ist die Krise in vielen Branchen nicht vorbei – ein neues Normal zeigt sich nicht wirklich; es ist eher ein Arrangieren mit der Krise. Erst nach einer Krise beginnt das Change Management oder auch das große Aufräumen. Organisationen, die resilient und vorausschauend sind, starten schon Change Management-Projekte. Das sind zum Beispiel Schritte in die digitale Transformation oder Initiativen für bessere Vereinbarkeiten oder neue Zeit- und Arbeitsflexibilität. Die Pandemie hat den Finger vielfach auf Wunden gelegt, die auch vorher schon da waren. Jetzt sollten sie wirklich nachhaltig behandelt werden. Mit diesem jetzt beginnenden Veränderungsmanagement können wir wirklich eine neue Form und Kultur des Miteinander Arbeitens entwickeln. Gleichzeitig soll auch nicht verschwiegen werden, dass Change Management in einigen Branchen jetzt Downsizing bedeutet, Neuausrichtung oder Komplettumbau. Das ist schmerzhaft und braucht viel Kraft.

Welche Change-Initiativen raten Sie ArbeitgeberInnen, um die MitarbeiterInnen in dieser schwierigen Zeit zu unterstützen?

Begleitung und Stabilisierung sind derzeit die wichtigsten Ankerpunkte, die Arbeitgeber*innen schaffen können. Wie? Das kann ein Lernforum sein, wie Mitarbeitende mit Unsicherheit umgehen. Wir haben zum Beispiel digitale Räume bei Organisationen eingeführt, bei denen sich Personen austauschen können und in denen sie kurze Impulse zum Thema Change-Ability bekommen. Das können Übungen sein, die eigene Veränderungskompetenz im unsicheren Umfeld zu erhöhen. Besonders wichtig ist derzeit der Blick auf die Führungskräfte. Ihnen wird am meisten abverlangt und sie brauchen die größte Unterstützung. Durch Coachings oder durch Peering mit anderen Führungsverantwortlichen, mit denen sie den Umgang mit der Unsicherheit im Führungsalltag besprechen können.

Wie kann man Motivation für Veränderung auf allen Ebenen schaffen?

Da hat Corona die Parameter nicht geändert. Motivation für eine Veränderung erzielen wir dann, wenn der Nutzen der Veränderung größer ist als im Problem zu verharren. Wir sind alle Gewohnheitsmenschen und das Verlassen der Komfortzonen fällt vielen schwer. Warum also verändern? Das muss das Management wirklich gut erklären können und es braucht ein dringend zu lösendes Problem. Wenn dann noch Partizipation dazu kommt, kann es gut werden. Keiner von uns wird gerne verändert. Wenn wir als Mitarbeitende selbst zu Mitgestaltern werden dürfen, dann steigert das die Bereitschaft enorm.

Wie kann ein Unternehmen im Fluss des Change Managements bleiben und nicht an einem Punkt stehen bleiben?

Nun, die Krise hat Bewegung in viele Organisationen gebracht, die vorher im Stillstand oder träge waren. Die Pandemie zeigte, dass es sehr sehr schnell gehen kann, sich verändern zu müssen. Wenn wir uns das Thema Home-Office ansehen, dann hat Corona eine enorme Beschleunigung gebracht. Ich bin zutiefst überzeugt, dass wir nicht in alte Fahrwasser zurückkehren werden. Vielleicht bin ich zu optimistisch oder zu gutgläubig, dass der Stillstand für die Entwicklung eines besseren Miteinanders und einer klimagerechten Zukunft überwunden ist. Die einzigen, die die Energie für Bewegung und für Veränderung stoppen können, das sind wir selbst. Teilweise werden uns Erschöpfungszustände dazu zwingen, inne zu halten. Aber der größere Nutzen, der Sinn – zu neudeutsch Purpose – ist der Antreiber oder Motor, der uns im Fluss hält.

Am Rad der Vereinbarkeit drehen

Vereinbarkeit ist kein neues Thema. Gleichberechtigung auch nicht. Fünf Jahre vor der Pandemie, 2015, haben sich 193 Mitgliedsländer der Vereinten Nationen zusammengeschlossen, um 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung festzulegen. Ziel 5 lautete, sich auf die Gleichstellung der Geschlechter bis 2030 zu konzentrieren. Mit der Pandemie ist vieles in Vergessenheit geraten. Wir müssen und sollen das Rad nicht neu erfinden und die Diskussion weiter hinauszögern; denn Organisationen wissen schon sehr lange sehr gut, an welchen welchen Hebeln sie drücken und welche Stellschrauben sie drehen können. Zur Sicherheit haben wir nochmals die Optionen, die vor Corona galten und die nachher genauso wirksam sind, im obigen Bild für Sie zusammengefasst.

Ein aus unserer Sicht zentraler Schritt für Vereinbarkeit und Gleichberechtigung ist es, die Themen nicht nur unter dem Fokus Frauenförderung zu sehen, sondern Männer wie Frauen zu adressieren. Es sind auch keine Themen, die „nur“ Eltern kleiner oder schulpflichtiger Kinder betreffen. Sie sind gesellschaftliche Themen, die die Pflege von Angehörigen, Freunden – und auch die Selbstfürsorge umfassen.

Dass so was nicht von „heute auf morgen“ geht, darf und soll keine Ausrede sein, nicht endlich damit zu starten. Jetzt wäre die passende Zeit! Und damit könnten wir auch gleich das Thema Diversität wirklich behandeln und uns unseren „Biases“, den unbewussten Vorurteilen, die in jedem von uns schlummern, stellen.

Zwei Tipps dazu:

  • Wer in verschiedene Biases und die Bewältigung ganz unterschiedlicher Branchen eintauchen will – vom Automobilsektor bis zur Katholischen Kirche – dem sei das im Jänner 2020 erschienene Buch ans Herz gelegt: Domasch, M., Ladwig, D. H., & Weber, F. C. (2020). Vorurteile im Arbeitsleben. Hier geht es zum Buch.
  • Mehr zum Thema Unconscious Bias hören Sie HIER im Podcast von Gerhild Deutinger im Interview mit Martina A. Friedl.
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