Archiv der Kategorie: Change & Kommunikation

Artikulation statt „Schweige-Konsens“

Kennen Sie das „Abilene Paradoxon“? Der Begriff kommt aus der Gruppendynamik und beschreibt Entscheidung, die getroffen werden, die niemand wirklich will. Der Management-Professor Jerry B. Harvey hat diesen Begriff geprägt [https://www.aspeninstitute.org/wp-content/uploads/files/content/upload/16-Harvey-Abilene-Paradox-redacted.pdf]

Es handelt sich um einen kollektiven Trugschluss: Eine Gruppe von Menschen entscheidet sich gemeinsam für eine Vorgehensweise, die den Präferenzen der meisten oder aller Individuen in der Gruppe zuwiderläuft. Gleichzeitig glaubt jede und jeder, dass die Entscheidung den meisten anderen gefällt oder sie übereinstimmen.

Verdeutlicht hat Harvey das mit einer Anekdote, die an einem heißen Tag im Juli 1974 in den USA beginnt. Er sitzt mit seiner Frau und deren Eltern auf der Veranda, es ist Sonntagnachmittag. Der Schwiegervater schlägt vor, zum Abendessen nach Abilene zu fahren. Seine Frau stimmt zu, die Schwiegermutter hält es für eine gute Idee und damit fährt die Familie im Sandstum und im damals sicher nicht klimatisierten Auto 53 Meilen zum Essen hin und 53 Meilen retour. Vier Stunden später, als alle erschöpft und überhitzt, enttäuscht über das schlechte Essen zu Hause ankommen, will Harvey den Abend retten und spricht von einem „tollen Ausflug“, woraufhin die Schwiegermutter gesteht, sie wäre von Anfang an lieber zuhause geblieben. Weil aber alle so begeistert waren, wäre sie mitgefahren. Der Schwiegervater räumt ein, er hätte den Vorschlag überhaupt nur deshalb gemacht, weil er dachte, der Familie wäre langweilig gewesen. Harvey und seine Frau wiederum wären nur mitgekommen, um die anderen glücklich zu machen. Wie konnte das passieren? Vier mündige Erwachsene machen freiwillig einen Ausflug, auf den keiner Lust hatte.

Es ist laut Harvey und dem so Abilene Paradoxon das Ergebnis von Konsens durch Schweigen. Mehrere Faktoren können zum Abilene-Paradoxon, die sich nicht nur in Familien, sondern vor allem in Teams und ganzen Organisationen zeigt, beitragen:

  • Mangelhafte Kommunikationserfahrungen innerhalb der Gruppe: wenn Teammitglieder nicht gelernt haben, sich auszudrücken oder es nicht gewohnt sich individuelle Vorlieben und Wünsche offen zu äußern, entsteht Schweigen, das keinem hilft
  • Harmonie-Orientierung: Ein starker Wunsch von Einzelpersonen und ganzen Teams nach Harmonie führt zu Vermeidung selbst kleinerer Aussprache; diese brauchen wir aber für das Lernen, wie mit Dissens umgegangen wird und damit Teams zu einer gesunden Konfliktkultur kommen. Unter Umständen kommt diese Harmonie-Orientierung aus der Angst vor Ablehnung, Gegenreaktion oder negative Konsequenzen, wenn eine Person ihre abweichende Meinung äußert.
  • Groupthink [Janis, I. I. (1972). Victims of groupthink. Boston: Houghton-Mifflin] Groupthink ist ein psychologisches Phänomen, bei dem der Wunsch nach Einstimmigkeit Vorrang hat. Obwohl der oder die einzelne eine andere Meinung hat, schließt er*sie sich der Gruppenmeinung an. Niemand möchte der oder diejenige sein, der Zweifel oder Kritik laut ausspricht. Die Gruppe ist wie ein eigenständig denkender Organismus, der auch Entscheidungen einstimmig trifft (obwohl Personen einzeln gefragt, anders entschieden hätten).

Für das Thema Widerstand im Change lernen wir schon in „Normalzeiten“ zu lernen, auf kritische Stimmen zu hören, Dissens als wichtiges Korrektiv zu sehen und Formen des Umgangs zu finden. Gegenteilige Positionen sind ein gesunder Teil des Miteinanders in Teams und Organisationen.  

Schnelles einschreiten bei Mikro-Aggressionen

Was Mikro-Aggressionen mit dem Firmenklima zu tun haben und warum Führungskräfte dagegen aktiv auftreten müssen

Eine Mitarbeiterin, die den neuen türkischen Kollegen Uğurcan konsequent falsch ausspricht. Der Chef, der den Buchhalterinnen lang und breit erklärt, wie sie die Verbuchung korrekt machen sollen. Der Vorarbeiter, der Witze über Behinderte reißt, seit die Fabrikshalle barrierefrei umgestaltet wird.

Mikroaggressionen sind kleine, subtile Formen von Diskriminierung. Sie können gegen Frauen, Menschen aus anderen Ländern oder Religionen, Personen mit Einschränkungen oder besonderen Merkmalen auftreten. Stets gleich ist ihnen die Machtdemonstration und die Ausgrenzung bestimmter Personen oder Personengruppen.

Da sie oftmals „en passant“ in halblauter Hörweite ausgesprochen werden oder im informellen Kreis, ist das Einschreiten gegen Aussagen oder Verhaltensweisen schwer. Ebenso ihr Gewöhnungseffekt, der dann in Aussagen mündet wie „So ist er oder sie halt…“, wenn Mikro-Aggressionen von immer gleichen Personen getätigt werden.

Diese Mikro-Aggressionen belasten nicht nur jene, die damit direkt konfrontiert sind; sie erleben damit (laufend), nicht Teil der Arbeitsgemeinschaft zu sein. Auch jene, die ihnen indirekt ausgesetzt sind, werden unterwandert: mit Bösartigkeit und Zynismus in Spaltungsabsicht. Darunter leiden Organisationsklima, Beziehungsarbeit und letztendlich auch Produktivität von Teams. 

Aus diesem Grund müssen Führungskräfte neben ihren vielfältigen Aufgaben auch noch Antidiskriminierungsarbeit leisten: das heißt, frühzeitig einschreiten, Klarstellen, dass ein Witz, eine Aussage, eine Bemerkung… keinen Platz in dieser Organisation haben. Grenzen setzen, wenn andere sie überschreiten – das geht beim ersten Mal einer wahrgenommenen Mikroaggression sogar weitaus besser, als wenn sich Gruppen an einen bestimmten Ton gewöhnt haben. Dann kann das Klima nämlich schon vergiftet sein.

Bildquelle: Chat GPT 4o (Jänner 2025)

Mehr Zuversicht, bitte!

Ein intensives 2024 wird zu einem zuversichtlichen 2025

Wir blicken zurück und nach vorne: Martina Friedl und ich feierten 2024 das fünfjährige Bestehen des Team Breite Gasse mit 50 gemeinsamen Veranstaltungen bisher und spannenden Projekte ohne „copy & paste“.

Was wir in diesem Jahr bemerkten: der Druck steigt. Vor allem auf Führungsverantwortliche. Daher braucht es noch mehr als bisher den Fokus auf die richtigen Dinge und auf viel, viel Kommunikation. Denn Verstehen und nicht zuletzt Akzeptanz stellen wir nur durch Austausch und Dialog her. Wie wir die Jahre 2024 und 2025 sehen, haben wir in einem Video für Sie zusammengefasst.

Damit Sie im neuen Jahr die richtigen Dinge mit Schwung und Elan schaffen, stehen wir zur Verfügung. Zum Austausch, als Sparring- und Beratungspartnerinnen. Und gestalten für Führungskräfte Räume, in denen sie sich austauschen und Kraft schöpfen können. Am 16. Jänner 2025 geht es weiter > Einladung zum Frühstücks-Salon hier. Und wir haben für 2025 ein Motto ausgegeben: Stärkere Zuversicht trotz widriger Umstände. Mehr dazu im ganzen Jahr 2025!

Sommer, Hitze, Austausch

Fünf Jahre Team Breite Gasse. 15 Salongespräche vorwiegend als digitale Frühstückseinladungen. 50 gemeinsame Termine von Martina Friedl und mir zu Diversität, Führung und Change. Das alles und mehr feierten wir bei 28 Grad am 25. Juni 2024. Ein Kommen und Gehen von Kund*innen, Partner*innen, früheren Mitarbeitenden und Freund*innen – es war wunderbar.

Ein paar Impressionen dazu finden Sie hier und in diesem Artikel: „Wenn Zufriedenheit an erster Stelle steht“

Vom Change Agent bis zum SuperUser

Was macht ein Change Agent eigentlich und was ein SuperUser? Zwei Begriffe aus dem Change Management, die für die Akzeptanz von Veränderungen sorgen können.

Vom wem holen Sie sich bei Veränderungen Informationen? Von der Organisationsspitze, aus dem Intranet oder gehen Sie der Gerüchtebörse nach? Alle, die mit Change Kommunikation zu tun haben, wissen, dass es zwei „Best-of“-Wege für Mitarbeitenden gibt: der*die direkt Vorgesetzte und den Flurfunk. Gerade letzteres dem Zufall zu überlassen, ist fahrlässig und kann ganz einfach auf eine organisierte, strukturierte Ebene gehoben werden.

Change-Agents sind ausgewählte Mitarbeiter*innen der Organisation, die vom Wandel direkt betroffen sind. Sie kommen aus unterschiedlichen Bereichen der Organisation, aus verschiedenen hierarchischen Lagern und bilden im Idealfall die Organisation repräsentativ ab. Ihre Aufgabe ist es, in einem Wandelvorhaben für einen begrenzten Zeitraum die Kommunikationsabteilung zu unterstützen, für Sorgen erste Ansprechpersonen zu sein und Fragen aufzunehmen, die die Belegschaft umtreiben. Sie haben in der eigenen Peergroup die größte Akzeptanz. Sie dürfen durchaus auch aktiv ihr eigenes Umfeld ansprechen und Sorgen – natürlich anonym – aufnehmen.

Gerade in der Repräsentativität der Organisation liegt die Stärke dieses Tools: Lehrlinge sprechen mit Lehrlingen, Mitarbeitende in Altersteilzeit mit jenen, die in der gleichen Phase sind. Eine örtliche Nähe kann ebenso hilfreich sein, daher sind Change Agents auch nicht nur in den Headquarters einzusetzen, sondern gerade auch in Filialen und weiteren Niederlassungen. Diese Personen haben für uns eine weitaus höhere Glaubwürdigkeit als jede andere Kommunikationsform, denn Menschen aus dem gleichen Kreis haben die gleichen Erfahrungen gemacht, haben die gleichen Sorgen oder Vorfreuden und verstehen die Bedürfnisse.

SuperUser werden in der digitalen Transformation häufig eingesetzt. Das sind Personen, die zusätzlich zu ihrer eigenen Aufgabe in Programmen oder im Handling neuer Technologien besonders geschult werden. Sie erhalten Trainings und eine Vorbereitung, um bei Fragen aus dem Team unterstützen zu können. Mit viel technologischem Wissen ausgestattet, helfen sie bei Unsicherheit, bei Anwendungsproblemen oder erklären einfach die neuen Schritte in ihrem Team, an ihrem Standort und zu ihren Kolleg*innen nochmals.

„Für die Realisierung der digitalen Pflegedokumentation in der NÖ Landesgesundheitsagentur wurden SuperUserInnen und KeyUserInnen geschult“, erklärt Sabine Lechner, Leiterin des Department Entwicklung, Strategie und Qualität Langzeitpflege (PBZ, PFZ) bei einem Sommersalon im impulsbüro am 25. Juni 2024. „Das sind Pflegekräfte, die sich freiwillig gemeldet haben, die technisch geschult wurden und Kolleg*innen helfen. Bei jeder Frage zur digitalen Pflegedokumentation versuchen zunächst die SuperUser*innen eine Antwort zu geben. Wissen sie nicht weiter, leiten sie die Fragen an die KeyUser*innen, Personen, die ebenso in der Langzeitpflege tätig sind. Erst wenn auch hier die Unklarheit weiter besteht, wird die Softwarefirma befragt.“

Und wie wird man Change Agent, SuperUser oder KeyUserin? Sabine Lechner berichtet, dass sie diese Frage ganz einfach löst: „Wir fragen einfach offen alle in einem Aufruf, wer möchte diese Funktion erfüllen. Und es ist ganz großartig, dass wir immer mehr Bewerbende haben, als wir brauchen.“

Bei uns ist das halt so…

Glaubenssätze in der Organisation

Möglicherweise haben Sie im Coaching von den eigenen inneren Glaubenssätzen gehört, die aus frühen Kindheitserfahrungen stammen: „Perfekt sein“ zu müssen oder für künftig brave Mädchen das Mantra „sei lieb“. Auch Organisationen haben diese Glaubenssätze. Oftmals durch Gründer und Entstehungsgeschichten manifestiert und durch Führungskräfte und langgediente Teammitglieder weitergetragen. Diese organisationalen Glaubenssätze geben die Wertehaltung, die intern gilt, weiter. Und das, ohne verschriftlich zu sein. Es ist eine Art kollektives Gedächtnis bzw. Gespür, das für jedes Teammitglied gilt, und wie ein ungeschriebenes Gesetzesbuch auch exekutiert wird.

Gerade neu hinzukommende Kolleg*innen merken sehr schnell „wie der Hase hier läuft“ und können die internen Kraft- bzw. Hinderungsfelder noch identifizieren, bevor sie ihnen in Fleisch und Blut übergehen. Der ehemalige Personalvorstand der Deutschen Telekom, Thomas Sattelberger, meinte einmal in einem Interview, Mitarbeiter*innen „hätten ein seismographisches Gespür dafür, was von Ihnen erwartet wird.“

Diese Grundannahmen – „so machen wir das eben bei uns“ – können stärken und die Identifikation mit dem Unternehmen festigen. Sie können aber auch überkommen sein, ein Vorwärtskommen bremsen und brauchen dann eine Änderung.

Ungeschriebene Glaubenssatz sichtbar machen

Eine Änderung von Glaubenssätzen ist möglich, braucht aber einen bewussten Anstoß. Idealerweise vom Top-Management; öfter passiert es bei einem Wechsel der Führungsspitze, da dies ein Anlas ist, sich als Organisation zu hinterfragen.

Der erste Schritt ist immer, das Unsichtbare sichtbar zu machen. Also auf die Suche nach den wirksamen, aber unausgesprochenen „Trampelpfaden“ zu gehen. Idealerweise werden viele in diese Suche miteinbezogen, etwa die Führungskräfte im Rahmen einer Klausur. Alleine, zu zweit oder in Kleingruppen werden mögliche Glaubenssätze identifiziert und aufgeschrieben.

Diese erstmals verschriftlichten Sätze oder Annahmen bekommen in einem zweiten Schritt eine Bewertung durch die ganze Gruppe. Die Unternehmensberater von intrinsify schlagen dafür eine 7-stufige Skala von 1 – bei uns nicht stark ausgeprägt – bis 7 – bei uns sehr wirksam und ausgeprägt – vor. Wichtig ist, diesen Schritt noch nicht inhaltlich zu bewerten, ob der Glaubenssatz politisch oder ideologisch gut ist, dass kommt erst nach dieser zahlenmäßigen Einschätzung, die es auch zu begründen und mit Beispielen zu belegen gilt.

„Schweigejahre“: Raus der selbstgemachten Innovationsfalle

Ich hatte in einem Expert*innen-Umfeld mit dem Glaubenssatz zu tun, dass die ersten Jahre als „Lehrjahre“ gelten. Lehrjahre – egal in welcher Position und mit welchem Alter die Person ins Team kam – wurden dort neben dem Zuhören und Lernen vor allem als „Schweigejahre“ verstanden. Eine Person, die „gerade einmal drei Jahre“ dabei war, entschuldigte sich pausenlos für neue Ideen. Interessant, weil die Verweildauer von Vorständen bei knapp über sechs Jahren liegt; das würde heißen, in der ersten Halbzeit wären neuen Vorschläge ungewünscht? Durch das Aufdecken dieses Glaubenssatzes – „neue Teammitglieder schweigt und lernt“ – konnte sich das Unternehmen mit der selbst verursachten Innovationslosigkeit befassen.

Das Aufdecken und die zahlenmäßige Einschätzung von 1 bis 7 hilft in der weiteren Überlegung: Wollen wir den Glaubenssatz beibehalten oder hindert er uns und soll daher geändert werden?

Wenn Sie noch mehr zum Thema Glaubenssätze in Organisationen lesen wollen, empfehlen ich diese umfangreiche Arbeit dazu: Jakob, Ankie Sophie: Organisationale Glaubenssätze. Eine systemische Analyse. In: Müller-Christ, Georg (Hrsg.) E-Schriftenreihe Nachhaltiges Management 2019 | Nr. 1.

Von D&I zu DEIB – neue Diversitäts-Sichtweisen

Diversity & Inclusion reichen nicht aus, um allen Mitarbeitenden das gute Gefühl zu geben, mit allen Stärken und Besonderheiten bei ihrem Arbeitgeber anzukommen. So beschrieb Sara Riedl, Expertin für Peoplemanagement aus dem Silicon Valley, am 7. September 2023 beim 14. Frühstücks-Salon von Gerhild Deutinger und Martina Friedl, die Entwicklung des Themas. Die Erweiterung „DEIB“ umfasst mehr: das E steht für Equity, Gerechtigkeit bzw. Fairness, und „B“ als Abkürzung von Belonging bedeutet Zugehörigkeit; D+I bleiben. Das Gefühl – auch als unterrepräsentierte Gruppe – dazuzugehören, Teil der größeren Gemeinschaft zu sein, führt zu einem Wandel Richtung psychologischer Sicherheit. Und diese ermöglicht es jedem und jeder, sich optimal einzubringen.

Worin liegt der Vorteil dieses erweiterten sprachlichen Diversitäts-Begriffs? Er geht aus unserer Sicht weg von den Anstrengungen jener Stellen, die sich seit vielen Jahren um Geschlechtergerechtigkeit, gleiche Bezahlung bei gleicher Arbeit oder Anerkennung von Menschen mit Beeinträchtigung kümmern. Empowerment von Frauen hat beispielsweise oft noch den Touch, dass Frauen (von Expert*innen) ermächtig werden müssen. Zugehörigkeit nimmt den Druck weg, dass einzelne Stellen oder Personen in der Organisation für die Inklusion verantwortlich sind – und nimmt gleichzeitig alle in die Pflicht. Für ein integratives Arbeitsumfeld, in dem alle ihre Stärken und Besonderheiten einbringen können, sind alle verantwortlich. Unabhängig von Hierarchie, Dauer der Unternehmens-Zugehörigkeit oder Stellenprofil. Natürlich braucht es weiterhin Guidelines und integrative Einstellungspolitik – doch mit dem „E“ und vor allem dem „B“ wird das Thema Arbeitsplatz und Organisationsumfeld für alle zu einem Thema für alle.

Das neue Normal in den USA: Neuro-Diversität im Tech-Umfeld

Sara Riedl, die beruflich der Technologiebranche nahesteht, berichtete weiters über den offenen Zugang in den USA mit den Themen ADHS, Asperger oder anderen Autismus-Formen. Unternehmen würden dies – im Gegensatz zu Europa – nicht als „Behinderung“, sondern als Chance sehen. Sie bieten Mitarbeitenden an, die für sie individuell optimale Arbeitsumgebung in Bezug auf Lärm, Licht oder Auszeiten während des Tages zu schaffen. Das führte während unserer Veranstaltung zu diesem wunderbaren Chat-Eintrag, für den ich mich ganz besonders bedanken möchte: „Ganz lieben Dank. Der Salon hat mich vor allem bestärkt, das Thema wieder zu fokussieren… und die Superkräfte von Menschen zu sehen.“

Mehr über Sara Riedl erfahren Sie auf ihrer Website.

Killt KI die IK?

Hand aufs Herz: Haben Sie in den vergangenen Monaten nicht auch schon ChatGPT oder ein anderes Programm etwa für die Erstellung von Bildern genutzt? Und wie war es? Meine Erfahrungen bei klassischen Textsorten wie einem Beschwerdebrief nach einem Flugausfall oder einem LinkedIn-Posting waren geradezu wunderbar: zeitsparend, sprachlich einwandfrei, präzise.

Heißt das nun, dass KI-Software die Texte formulieren kann, die interne Kommunikation übernimmt? Sie könnte ähnliche und passende Beiträge für verschiedene Mitarbeitermedien verfassen. Daraus Interview-Fragen und Antworten für einen Podcast erzeugen oder das Vorstandsbriefing für die kommende Town-hall-Veranstaltung schreiben. Denn Inhalte gibt es in den meisten Organisationen mehr als genug – die Aufbereitung wäre mit KI-Systemen deutlich schneller. Und die Gatekeeper-Funktion würde doch nicht wegfallen, denn Texte müssten weiterhin gelesen und freigegeben werden.

Aus meiner Sicht erlaubt die KI der internen Kommunikationsstelle eine Re-Positionierung. Die Zeitersparnis könnte sie bewusst nutzen. Etwa, um an neuen Konzepten zu arbeiten, die oft ewig in Schubladen stecken, wie echtes Employer Branding. Endlich Zeit, mit dem Management Board über Organisationskultur nachzudenken und neue Schritte zu wagen. Endlich das alte Intranet über Bord werfen und Formate testen, die es noch nie gab. Oder die Fehlerkultur des Unternehmens endlich verbessern… Themen gibt es für die IK genug. Mein Appell an alle IK-Verantwortlichen: Traut Euch, die KI zu nutzen, um Eurer Abteilung oder Stabsstelle den Wert zu geben, die sie haben sollte: strategisch, steuern und vorausblickend.

Übrigens: Ich habe mir auch einen Artikel zu diesem Thema „KI und IK“ vorschlagen lassen. Er hat mir aber nicht gefallen; zu allgemein, zu zaghaft. Daher mussten Sie meine Meinung zum Thema lesen.

Wie verändert sich Veränderungskommunikation?

Die Kärntner Wirtschaft interviewte im März 2023 Gerhild Deutinger als Change Kommunikations-Expertin. Hier finden Sie das Interview im Volltext.

Veränderung ist das neue Normal. Aber warum fällt es uns so schwer, im Betrieb darüber zu sprechen? Was sind dabei die größten Hürden und Ängste?

Veränderung verursacht Stress. Stress wiederum führt zu einem Mehr an psychischen und physischen Belastungen. In Deutschland wird das von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin auch regelmäßig ausgewertet. Schon 2012 und wieder im Stressreport 2019 wird der Zusammenhang von Wandlungsprozesses mit Beeinträchtigungen von Wohlbefinden und Gesundheit belegt. Manfred Spitzer, ein deutscher Neurowissenschafter, hat es einmal auf den Punkt gebracht: Was auch immer man an Symptomen betrachtet, bei Umstrukturierungen hat man mehr davon!  Und zwar von Symptomen wie Kopf- und Rückenschmerzen, Müdigkeit, Nervosität oder Niedergeschlagenheit.

Das betrifft ganz viele in den Betrieben und Organisationen, nicht nur die „klassischen“ Mitarbeitenden, die die Auswirkung einer Veränderung vorrangig spüren. Das betrifft vor allem die Führungskräfte. Sie fühlen sich zu einem großen Teil für ihre Teams und die Menschen im Betrieb verantwortlich. Ein „beliebter“ Schutzmechanismus heißt: Je weniger die Mitarbeitenden von Wandelideen wissen, desto weniger Stress und desto besser das Teamklima. Leider ist das ein Trugschluss. Denn mit Veränderungen wie mit Gewittern: man spürt sie lange bevor die erste Regentropfen fallen. Und deshalb muss Kommunikation früh ansetzen.

Haben Pandemie, Fachkräftemangel und Digitalisierung die Kommunikation über Veränderung verändert? Was ist heute nicht mehr zeitgemäß?

Wir erleben mehr und mehr reflektierende Unternehmen, die jetzt, postpandemisch sagen: Setzen wir uns zusammen. Reden wir über unsere Lernkurven aus der Corona-Krise und planen wir die bevorstehenden Herausforderungen – vor allem das Generationen- und Übergabemanagement –gemeinsam. In koordinierten Prozessen können wir das Wissen vieler anzapfen und mehr als nur eine Lösung finden. Ich sehe vielfach, dass die Krise als Chance, neu intern zu interagieren, genutzt wird. Ist das nicht eine wunderbare Entwicklung?!

Wenn Sie mich fragen, was nicht zeitgemäß ist: die digitale Transformation legt aus meiner Change-Sicht den Schwerpunkt zu sehr auf das Digitale und zu wenig auf die Transformation. Ich habe vor kurzem einen Betrieb begleitet, der ein digitales Tool zur erstmaligen Arbeitszeiterfassung eingeführt hat. Aus der „IT- und Digital-Brille“ kann man eine solche Veränderung wunderbar in den Sand setzen.

Worauf müssen Betriebe heute in der Kommunikation von Veränderungen achten? Was sind No-Gos (wenn Mitarbeitende zum Beispiel über Social Media von Veränderungen erfahren oder Kündigung per Videocall?)

Tatsächlich habe ich es in 23 Jahren Veränderungsbegleitung noch nie erlebt, dass ein Unternehmen die Mitarbeitenden per Video gekündigt hat. Ich erlebe vielmehr Unternehmensführende, die sehr bedacht und umsichtig sind, was Freisetzungen betrifft und vorher viele Ideen abwägen. Allerdings: jede Veränderung ist von Gerüchten begleitet und diese finden heute auf Social Media ihren Ausdruck. Das bedeutet, dass Mitarbeitende über Medien von außen durchaus mehr erfahren als von innen. Daher spielt mein Thema Change Kommunikation heute eine besonders große Rolle: Wie gestalte ich einen offenen, transparenten, vertrauensbildenden Kommunikationsprozess, wenn die Parameter der Veränderung noch nicht klar sind und gleichzeitig die Geschwindigkeit der Gerüchtebörse exponentiell steigt?

Wenn Sie mich nach den No-Gos fragen: Veränderung klein reden, subjektive Gefühle von Bedrohung lächerlich machen oder die Schuld der Veränderung auf andere schieben oder gar nicht kommunizieren, das geht nicht. Eine Veränderung zu managen, heißt auch, die Emotionen der Betroffenen zu managen. Egal, ob diese überbordend oder gefühlt unangemessen sind.

Homeoffice und Vier-Tage-Woche. Wie schafft man es als Unternehmen nicht die Vertrauensbindung zu seinem Team zu verlieren? Ihr Tipp für die Praxis?

Das ist in der Tat eine der größten Herausforderungen aktuell. Durch Home-Office „verschwindet“ ein Teil der Belegschaft und ist nicht mehr sichtbar. Gleichzeitig nimmt die Teilzeit zu und es werden mehr und mehr „Köpfe“. Wir beraten bereits Unternehmen, die zu 95% aus Teilzeitkräften bestehen, weil die Arbeit belastend und die Nachfrage nach verkürzter Arbeitszeit hoch ist. Von der Idee, dass wir am Standort ein Team in Präsenz vorfinden, das gemeinsam motiviert den Regelbetrieb stemmt und neue Herausforderungen löst, werden sich in den kommenden Jahren nahezu alle Organisationen verabschieden müssen. Die Themen Bindung, Loyalität, Team-Spirit werden aber nicht weniger – ganz im Gegenteil. Das wird Aufgabe der Führung sein, hier neue Konzepte auszuprobieren. Wir sind gerade dabei, mit einem Team, das 30 Teilzeitkräfte statt 12 Vollzeit-Äquivalente hat, an neuen Strukturen und an ganz neuen Kommunikationssetting für die Schnittstellen und den informellen Austausch zu arbeiten. Es braucht noch mehr Kommunikation und Führung, die Experimente zulässt.

Was wäre Ihnen zu dem Thema noch wichtig?

Ob ein Wandel, eine Transformation, eine Restrukturierung oder eine Fusion gelingt, ist von den Führungskräften der Organisationen abhängig – und zwar auf allen Ebenen! Wenn sie es schaffen, die Problemlagen rechtzeitig zu erkennen, Visionen zu teilen, Pfade ins Neue aufzuzeigen und ihre jeweiligen Leute mitzunehmen, dann funktioniert Veränderung. Das ist ein Fulltime-Job! Vielfach sind Führungskräfte aber mit 1.000 Kleinigkeiten befasst und nehmen den Change „nebenbei“ wahr. Das ist der Grund, warum bis zu 7 von 10 Veränderungsvorhaben scheitern.

Eine Kurzversion in der Kärntner-Wirtschaft finden Sie hier:

Ver-Bindung tut gut

Wir sind soziale Wesen. Im Home-Office, im Vor-Ort-Büro, bei Verhandlungen, bei Projekten. Egal ob analytisch, kreativ oder durchsetzungsstark im Tun. Wenn wir das Gefühl haben, mit anderen eine gute, stabile und vertrauensvolle Ver-Bindung zu haben, dann sind viele von uns auch leistungsbereiter. Wenn wir uns an Kolleg*innen und Führungskräfte ge-bunden fühlen, dann macht es einfach Spaß, gemeinsam Probleme zu knacken oder auch mal eine Extrarunde zu drehen.

Leistungen und Engagement brauchen ein Beziehungsgefüge, das in der hybriden Arbeitswelt neu gedacht werden muss. Denn Ver-Bindung stellen wir nicht per Mail her. Wir brauchen den Augenkontakt und das Spüren, wie der oder die andere „tickt“. Wir wollen wissen, wie nah oder weit unsere Wertehaltung zueinander ist. Und wir lieben Lachen ebenso wie Lästern.

Die neue Teamstabilität braucht noch mehr Verbundenheit, weil viele Teams nicht mehr in voller Personalgröße von Montag bis Freitag zusammenkommen. Bei 20 bis 40% Home-Office-Zeit sehen wir immer nur einen Teamausschnitt. Gerade deshalb sollten Führungspersonen besonders auf Zeiten achten, zu denen allen sich formell wie informell sehen und erleben können – nicht nur am jährlichen Teamtag.

Die Frage „Wie stellen wir in hybriden Zeiten Verbundenheit im Team her“ kann durchaus auch mit und im Team gestellt und beantwortet werden. Gemeinsame Überlegungen haben eine ganz besonders gute Auswirkung auf Teamkulturen und ermöglichen, dass sich der und die Einzelne als Mitgestalter*in für das neue Normal empfindet.

Mehr dazu finden Sie auch in unserem Artikel Emotionale Verbundenheit

Emotionale Verbundenheit