Archiv des Autors: Gerhild Deutinger

In der Vereinbarkeitsfalle

Vom Fluch und Segen der Zeitflexibilität, von überkommenden Kulturmustern und wie HR gegensteuert

Der vierte Frühstücks-Salon des Team Breite Gasse von Martina Friedl und Gerhild Deutinger hatte aufgrund des zweiten Lockdown an Brisanz gewonnen: Wie gehen Organisationen mit dem Thema Vereinbarkeit um? Wie erleben Führungskräfte den Spagat von Work-Life-Family? Und wie können – im Sinne der Gesundheit der Mitarbeitenden – Konfliktpotenziale wie dauernde Erreichbarkeit oder Arbeit an Randzeiten nach Home-Schooling oder wenn Bandbreiten wieder offen sind aufgelöst werden?

Das Thema Vereinbarkeit selbst ist ja kein Neues. Schon vor der Pandemie mussten sich Singles, Paare, Familien und Organisationen die Frage stellen, wie sie die zur Verfügung stehende Zeit optimal aufteilen. Optimal so, dass weder die Arbeit noch die Familie noch das eigene Selbst – Stichwort Selbstfürsorge – zu kurz kamen. Die Balance war ohne Corona für manche schon schwer zu halten. Die beiden Psychologinnen (Masterstudierende an der Universität Wien) Magdalena Mayer und Maria Lena Mayer haben im Spätherbst 2019 potenzielle Copingstrategien von Zweiverdiener-Paaren untersucht (hier geht es zu den Folien). Ihre Ergebnisse zeigten, dass im „alten Normal“ eine Trennung zwischen Arbeit und Familie hilft, den Work-Family-Konflikt möglichst gering zu halten. Eine Trennung, die es für viele im Home Office seit März 2020 nicht mehr gab oder gibt.

Die beiden Wissenschafterinnen untersuchten weiters, welche Copingstrategie unter Stress welche Wirkung hat: eine hohe Familienorientierung („family first“) verschlimmert den Arbeit-Familien-Konflikt. Flexibilität als Strategie hat unter Stress einen verbessernden Effekt auf den Arbeit-Familien-Konflikt.

Vor diesem Hintergrund diskutieren wir mit über zwanzig Teilnehmer*innen in unserem Frühstücks-Salon, welche Wirkung Flexibilität in Zeiten des Lockdowns und danach haben kann. Die meisten Firmenvertreter*innen konnten über eine Zeitflexibilisierung während des ersten Lockdowns berichten: vom Abschaffen der Kernarbeitszeit zu vollkommenden offenen Zeitstrukturen bis hin zu Freistellungen für alle, die Kinder unter 14 Jahren betreuen mussten. Frauen haben zunächst diese Möglichkeiten mehr genutzt als Männer, was von einer Teilnehmerin als klassisches Rollenverteilungsmuster interpretiert wurde: „Männer arbeiten, Frauen arbeiten und betreuen“. Die Corona-Panels der Universität Wien zeigen ebenso einen Überhang der Care-Arbeit bei Frauen wie die Studien, die Martina Friedl beim Frühstücks-Salon zusammengefasst hat (-> hier zum Download). Kommen wir also in eine Re-Traditionalisierung?

Die Gefahr, dass das Instrument Freistellung Frauen nicht stärke und stütze, sind gegeben. Vor allem Frauen in Führungspositionen und Wissenschafterinnen fallen, wenn sie zeitliche Caring-Optionen ziehen, aus der internen und externen Wahrnehmung. Zeitflexibilitätwiederum führe bei sehr engagierten Mitarbeitenden dazu, dass die Überarbeitung zunimmt. Die ersten Beobachtungen der Zunahme von einer Burn-Out-Gefährungen liegen vor  (lesen Sie dazu auch den Artikel „Autonom durch den Nebel?“).

Beim Gegensteuern durch die Organisationen zeigen sich noch keine einheitlichen Muster. Denn jeder Maßnahme liegt eine unmittelbare Gefahr inne. In Deutschland setzt man seit längerem – wie bei unserer Diskussion – auf noch mehr Zeitflexibilität. Gleichzeitig neigen Organisationen dazu, Frauen die Zeithoheit zur Erfüllung ihrer Caring-Aufgaben zu übertragen und nicht für neue Projekte oder Herausforderungen. Die Forscherinnen Heejung Chung und Yvonne Lott der Universität Kent beobachten in der Erhöhung der Flexibilität bei der Arbeit eine neue / alte Durchsetzung traditioneller Geschlechterrollen und eine Erhöhung der Geschlechterungleichheit.

In der Diskussion unseres Frühstücks-Salons wurde weiters die Bedeutung der unmittelbaren Führungskraft herausgestrichen; sie kann und soll beobachtend und steuernd auf einzelne Teammitglieder einwirken. Zu hoffen bleibt, dass damit Führungskräfte nicht überfordert werden, vor allem nicht jene, die als Personen selbst mit einer Vereinbarkeitsproblematik leben müssen. Mehr dazu auch in unserem Artikel  Fürsorge im „next normal“. 

Empfehlungen für mehr zum Thema:

  • Am 9. Dezember 2020 veranstaltet die WU Wien eine Veranstaltung zum Thema verantwortungsvolles Führen. Mehr -> hier.
  • Testlauf für eine App namens „swoliba“, die Mitarbeiter*innen unterstützt, im Homeoffice produktiv zu arbeiten und die eigene Erholung nicht zu vernachlässigen. Informationen erhalten Sie in diesem -> Video
    Das Projekt wird in Zusammenarbeit mit dem Angestelltenbetriebsrat des Internationalen Flughafens Wien und der Forschungsgruppe INSO (Industrial Software) der TU Wien durchgeführt. Die Studie wird von der Arbeiterkammer Niederösterreich im Rahmen des Projektfonds Arbeit 4.0 gefördert. In dieser App findet sich eine Vielzahl an wissenschaftlich fundierten Strategien für die Arbeit im Homeoffice, die selbstständig in den Alltag integriert werden können. Der Testlauf ist für Personen und ganze Organisation möglich; die Erhebung startet im Jänner 2021. Nähere Infos Maria Magdalena Mayer (mayer@tuwien.at).

 

Fürsorge im „next normal“

Fürsorge für andere, Fürsorge für die Wirtschaft, das Klima und sich selbst. Hohe Anforderungen, die das nächste Normal ganz anders werden lassen könnten als das „alte Normal“.

„Caring Economy“. So nennt sich eines der Hoffnungsmodelle für das nächste Normal. Geprägt wurde der Begriff von der US-Wissenschaftlerin Riane Eisler und sie meint damit eine Wirtschaftsform, deren Ziel ein gutes Leben für alle ist. Wie kann das gehen und warum steht Fürsorge ganz oben?

Die Pandemie hat uns die Grenzen der Gesundheitsbranchen und des ewigen Wirtschaftswachstums deutlich gezeigt. Schon vor der Corona-Krise war der Klimawandel eines der Top-Themen, die nicht mit der notwendigen Konsequenz von Staaten und Unternehmen umgesetzt wurden.

Eisler schlägt deshalb vor, statt des Bruttoinlandsprodukts (BIP) eine neue Kennzahl einzuführen, die eines „Sozialen Wohlstandsindex“ . Dieser Index macht – anders als das (BIP) – die Rentabilität von Investitionen in Fürsorge für Mensch und Umwelt sichtbar. Das würde bedeuten, dass „Werte“ aus Fürsorge und Pflege für Familie und Gesellschaft wie auch Umwelt- und Klimaschutz berücksichtigt werden. „Care-Arbeit“ wie Familienfürsorge und Pflege werden nach ihrem Modell als eigener Wirtschaftszweig betrachtet und in Kennzahlen bewertet – genauso wie die Wertschöpfung aus Kommunen und Naturquellen.

Was ich an diesem Ansatz spannend finde, ist die Diskussion, was als „wirtschaftlich produktiv“ gilt. Das könnte auch ein Gedankenanstoß für Unternehmen sein. Nicht nur dem Außendienst die „Kennzahl wirtschaftlich produktiv“ zu geben, sondern – und ganz besonders – den Leistungen im Innendienst, die den Vertrieb möglich machen. Denn „wirtschaftlich produktiv“ ist es auch, wenn Führungskräfte sich Zeit für die Kommunikation, für das Zuhören und die Sorgen der Mitarbeiter*innen machen. Es ist wirtschaftlich produktiv, wenn sie Teamkonflikte frühzeitig besprechen, wenn sie Reflexionen anstoßen und für Motivation im Team sorgen.

Selbstfürsorge für Führungskräfte

Bevor sie all das leisten können, ist es auch „wirtschaftlich produktiv“, auf die eigene Gesundheit zu achten. Gesunde Führung beginnt bei den Führungskräften. Sind sie im Stress überträgt sich das auf das Team. Sie sind gereizt und angespannt, verengt sich ihre Aufmerksamkeit. Daher ist das bewusste Gegensteuern durch Selbstfürsorge nicht eine Empfehlung sondern eigentlich ein Muss. Jede Führungsperson muss die Möglichkeit haben, zu entspannen und auf die eigene Gesundheit zu achten. Dabei helfen die Fragen: Was tue ich für mich, was mir gut tut? Mit welchen Aktivitäten (oder welcher erlaubten Passivität) regeneriere ich mich und tanke ich auf? Was trägt, stützt und stärkt mich? Nur wenn Führungsverantwortliche zulassen, für sich selbst Zeit und Raum einzuplanen, dann können sie gut für andere sorgen. Und ein gutes Vorbild in der aktuellen Zeit der Unsicherheit sein.

Buchempfehlung

Riane Eisler: „Die verkannten Grundlagen der Ökonomie“. Im Original 2007 unter dem Titel „The Real Wealth of Nations“ in den USA veröffentlicht; jetzt in deutscher Übersetzung.

 

Erliegen Sie nicht dem Semmelweis-Reflex

Gerade in Zeiten, in denen Vieles im Umbruch, in der Veränderung und manchmal auch in der Abkehr von überliefertem Handeln liegt, sollten wir stets offenbleiben und nicht dem Semmelweis-Reflex erliegen.

Namensgeber dieses Reflexes ist der aus Ungarn stammende und in Wien praktizierende Chirurg und Frauenarzt Ignaz Semmelweis (1818-1865). Ihn beunruhigt, dass Mütter im Wochenbett häufiger verstarben, wenn sie mit Ärzten in Kontakt waren. Zu seiner Zeit lag die Sterblichkeitsrate im Wochenbett der Geburtenstation bei 30%! Als er versuchen wollte, die Ursache zu ergründen und die Frauen noch intensiver untersuchte, stiegt die Zahl der Todesfälle noch weiter an. Er vermutete schließlich, dass die Infektionen auf mangelnde Hygiene zurückgingen und schrieb seinem Personal vor, sich vor jeder Untersuchung die Hände mit Chlorkalk zu desinfizieren. Diese Maßnahme senkte die Sterblichkeit der Frauen und Kinder in den Jahren 1847/48 dramatisch und seine Vorgehensweisen, eine Annahme evidenzbasiert zu prüfen, wird heute noch als Musterbeispiel für eine methodisch korrekte Überprüfung wissenschaftlicher Hypothesen genannt.

Soweit so gut, aber nun kommt das „große Aber“. Zu jener Zeit galt Hygiene als Zeitverschwendung und unvereinbar mit den damals geltenden Theorien über Krankheitsursachen. Semmelweis wurde zu einem Politikum. Seine Erkenntnisse wurden nicht nur nicht anerkannt, sie wurden als „spekulativer Unfug“ abgelehnt und als herber Affront gegen die Autorität der Ärzteschaft gewertet. Der Gedanke schien unerträglich, dass der als unfehlbar geltende Arzt nicht nur Heils- sondern auch Unheilsbringer sein soll. Semmelweis‘ Ideen wurden abgelehnt – aus einer Kränkung des Berufsstandes heraus ohne die Beachtung wichtiger Untersuchungen.

Der Semmelweis-Reflex steht bis heute für das Ablehnen von Fakten ohne guten Grund, nur weil man sich angegriffen fühlt.

Unfassbar meinen Sie? Überlegen Sie mal, wie oft wir – aus einer rein emotionalen und menschlichen Reaktion heraus – Fakten ignorieren und uns verteidigen, um den Status Quo zu erhalten. Selbst wenn es Fakten gibt, wollen wir ihnen nicht glauben und lehnen Neues ab. Weil der Bauch dem Kopf nicht trauen will oder kann. Ob das im Zusammenhang mit Klimaschutzmaßnahmen steht oder mit Corona-Fakten oder ganz einfach mit Neuerungen, die in der Berufs- und Privatwelt auf uns zukommen. Wenn also das nächste Mal eine (faktenbasierte) Veränderung auf Sie zukommt, erliegen Sie nicht sofort dem Semmelweis-Reflex. Hören Sie zuerst zu, prüfen und denken Sie nach oder probieren das Neue (probehalber) aus – vielleicht ist was Gutes dabei!

Disziplin, Vertrauen, Humor – die neuen Führungsparameter

Eine Nachlese unseres Frühstücks-Salon zur Frage, welche – langfristige – Wirkung Corona auf Führungskräfte und Führungskultur hat

Mitte Oktober 2020, also fast auf den Tag genau sieben Monate nach dem Lock Down, baten Martina Friedl und ich drei HR/PE/OE-Expertinnen mit Führungsverantwortung sehr unterschiedlicher Organisationen zum Interview: Wie ging es Führungskräften während der Pandemie? Welches Führungsverhalten und welche Strategie wendeten sie an? Und vor allem, was davon wird überdauern und langfristig in die Führungskultur eingehen? Karmen Frena, Leiterin Personalentwicklung, Diversitäts- und Gesundheitsmanagement beim AMS Niederösterreich, Maria Ekl-Jürgens, Leitung Human Resources & Organizational Development bei Licht für die Welt und Anja Graf HR Generalist bei Magna Global IT berichteten über ihre Beobachtungen, ihren eigenen Führungsalltag und notwendige Unterstützung der Führungsebenen.

Auf der Suche nach dem (neuen) Gleichgewicht

Nach mehr als einem halben Jahr Führen in Zeiten von Corona zeigte sich den Expertinnen eine Mischung aus – teilweise gleichzeitiger – Über- und Unterforderung. Die Überforderung am Beginn der Krise im März und April 2020 durch die Umstellungen von Prozessen und dem Einrichten des Home-Office wich einer inhaltlich-persönlichen Überforderung, weil sich ganz neue Themen wie Kurzarbeit, permanente Erreichbarkeit, fehlendes Selbstmanagement und ein noch größerer Bedarf an Kommunikation auftaten. Unterforderung ergab sich bei jenen, die aus systemerhaltenden Prozessen im wahrsten Sinne herausfielen. Auch die beiden Pole der Führung – Vertrauen auf der einen Seite oder Kontrolle auf der anderen – sind noch nicht geklärt und bedürfen sicher eines Nachschärfens. So berichten die drei Expertinnen auch davon, dass Prozesse und Aufgaben seit der Krise entweder (wieder) stärker an eine Zentrale gebunden werden oder ganz im Gegenteil die Organisation agil wird und dezentrale Steuerungsmöglichkeiten einbaut. Für die kommenden Monate bedeutet dies, dass Organisationen an einem neuen Gleichgewicht arbeiten müssen zu individueller Über/Unterforderungen, organisatorischer Zentralisierung/Dezentralisierung und auch der Suche nach passenden stabilisierenden Führungsparametern.

Diese Beobachtungen teilen wir als Beraterinnen. Dass das Gleichgewicht sehr fragil bei einzelnen Führungskräften wie bei ganzen Organisationen ist, zeigt sich in leisen Stressmomente. In diesen werden minimale Anpassungen oder Irritationen noch immer aufgeregt diskutiert; aus unserer Sicht, weil die Suche nach der neuen Führungsstabilität erst am Beginn stehen. Prozesse neu zu denken, sich von Altem zu verabschieden, Vertrauen in viele Hände und auf mehrere Schultern zu legen, sind mögliche Antworten darauf.

Was jetzt: flexibel oder diszipliniert?

Beides meinten unsere Interviewpartnerinnen, denn die neue Flexibilisierung braucht Disziplin. An zwei Beispielen – der Zeitflexibilisierung und der Klient*innen-Erreichbarkeit – wurde die Gleichzeitigkeit beider Faktoren beschrieben. Aus dem Home-Office mehren sich die Berichte über fehlende Zeitlinien: Wann ist man „nur mehr“ zu Hause? Ist Büro-Alltag auch noch schnell und flexibel nach dem Abendessen und vor allem was macht man mit der Zeit, die sonst für die Fahrt zur Arbeitsstätte und retour gebraucht wurde? Ist das die neue Arbeitszeit plus? So sinnvoll und wichtig eine hohe Zeitflexibilität während einer Krise war, so sinnvoll und wichtig ist es „im neuen Normal“ dafür Zeitregelungen aufzustellen. Zur Orientierung, zur Abrechnung und vor allem auch, um die Selbstorganisation zu stärken. Am Beispiel das Klient*innen-Orientierung aus einer Organisation wurde schnell klar, dass nicht alles, was online ginge auch optimal ist. Beratungen und Dienstleistungen, die Barrieren überwinden müssen (seien es sprachliche, alters- oder bildungsbedingte) brauchen den Menschen vis à vis. Nicht nur die technologische Innovation, sondern Beziehungsaufbau und -pflege (als neue alte Innovation) wird wohl die Zeit nach der Krise am meisten prägen.

Gibt es noch was zu lachen?

Ohne Humor keine Krisenüberwindung. Dieses Credo hörten wir und die vielen interessierten Teilnehmende unseres Frühstücks-Salons mehrfach. Eine positive Grundhaltung von Führungskräften macht das Leben im Team leichter. Und ist ansteckend, hilft gegen Vereinsamung im home-office und baut die wichtige Beziehungsbrücke zwischen den Teammitgliedern oder zwischen den Mitarbeitenden und den Kunden (wieder) auf. Es bedarf keines großen Aufwandes, sich gemeinsam etwas Lustiges anzusehen. Wie etwa jenen Gabelstaplerfahrer aus den Niederlanden, der über zwei Minuten lachend durch eine Halle voller Toilettenpapier fährt. Das Video finden Sie hier.

Agil ist da und Selbstfürsorge kommt

Aus unserer Perspektive als Organisationsberaterinnen sind uns einige neue, interessante Aspekte aufgefallen, die wir hier teilen wollen:

  • Ein Frühstücks-Salon ohne das Wort „agil“. Hätten wir das Wort „Agilität“ nicht eingebracht, es wäre beim Frühstücks-Salon nicht gefallen. Agil scheint plötzlich das Normalste der Business-Welt zu sein. Während wir gefühlt Jahre damit verbracht haben, agile Konzepte mit Organisationen zu diskutieren und nicht sicher waren, ob es jemals gelingen wird: Jetzt ist die agile Welt einfach da. Führungskräfte müssen ihren Teams Vertrauen und Verantwortung delegieren. Uns kam vor, dass es den Organisationen noch gar nicht bewusst ist, dass hier vielfach Disruption stattgefunden hat.
  • Kommunikationsanforderungen an Führungskräfte steigen. In Zukunft wird die Pluralität der internen Kanäle zunehmen, sowohl online als auch offline. Führungsverantwortliche müssen diese Pluralität bewusst nutzen, um Botschaften über passende Kanäle mehrfach zu kommunizieren. Denn gerade die online Kommunikation erfordert eine höhere Präzision, um Missverständnisse zu vermeiden.
  • Selbstfürsorge und Achtsamkeit rücken deutlich in den Mittelpunkt. Die problematische Trennung von Privat und Beruf wurde schon kurz erwähnt. Ein achtsamer Umgang mit den eigenen Ressourcen wird damit noch wichtiger, genauso wie Rituale zur Abgrenzung. Führungskräfte tragen hier Verantwortung für sich selbst – und für das Team. Auch für Organisationen werden sich hier neue Fragestellungen auftun, wenn es darum geht, die Vorteile dieser neuen Art zu arbeiten, für sich zu nutzen (z.B. in Bezug auf das Thema Vereinbarkeit von Beruf und Familie). Hierzu möchten wir auch in unserem nächsten Frühstücks-Salon anknüpfen, zu den wir am 27.11.2020 mit der Frage „Organisationen in der Vereinbarkeitsfalle?“ herzlich einladen. Alle Details zu diesem unseren vierten kostenlosen Frühstücks-Salon finden Sie hier.

 

KANBAN-Board: Bunte Post It mit Mehrwert

Wie bekommen Sie Struktur in ein Team, das remote arbeitet oder manchmal in der online-Welt im home-office lebt und zeitweise wieder ins analoge Büro kommt? Das Kanban-Board, das einzelne Aufgaben und deren Status visualisiert, kann dabei nützlich sein. Die Methode des Kanban kommt aus dem Kaizen. Kaizen ist japanisch und bedeutet so viel wie sich verbessern oder etwas zum Positiven verändern; Kanban ist der Ausdruck für ein visuelles Signal. Kanban ist eine von vielen Kaizen-Methoden und deren Herzstück ist das Kanban-Board.

Zunächst werden Aufgaben auf Post-It oder Kärtchen erfasst. Das können Ihre ganz persönlichen Aufgaben sein, wenn Sie Kanban für Ihren Arbeits- oder Projektfortschritt nutzen; das können aber auch jene des Teams sein. Bei Teams können Sie beispielsweise pro Mitarbeiter*in eine eigene Farbe nutzen, um auf einen Blick Über- oder Unterlastungen zu erkennen.

Als nächstes wählen Sie einen Ort, auf den die Kärtchen gepinnt oder geklebt werden können. Das kann eine Tafel sein, ein Whiteboard, eine Türe – oder in der digitalen Entsprechung Softwaretools wie beispielsweise Trello. Alle Aufgaben, die nun auf Post-It oder Kärtchen stehen, sollen hier Platz finden. Aber nicht in alphabetischer Reihenfolge oder nach Mitarbeitendem, sondern nach Arbeitsfortschritt.

Dazu müssen Sie diese Tafel oder das Trelloboard zuerst in mehrere vertikale Spalten unterteilen, damit jeweils eine Aufgabe (= 1 Kärtchen) ihrem jeweiligen Status zugeordnet werden kann. Die einfachste Form wären drei vertikale Spalten für „ToDos“, „Doing“ und „Done“, also Aufgaben, die demnächst erledigt werden müssen, Aufgaben, mit denen Sie sich aktuell befassen und jene die erledigt sind. Spannender finde ich persönlich mehrere Spalten, die zeigen, wie sich Aufgaben entwickeln.

Für eine Kommunikationsabteilung haben wir ein Kanban-Board mit fünf Spalten definiert: Startend mit „Ideenstatus“ – hier war Platz für neue kreative aber noch nicht zu Ende gedachte Ideen. Spalte 2 waren „Aufgaben vor Entscheidung“; diese Abteilung war abhängig von Beauftragungen anderer Abteilungen und des Managements. Ein „Stau“ in dieser Spalte ist fatal; durch die Visualisierung wird auf mögliche Stressmomente vorbereitet und die Art der Urgenz des Abteilungsleitenden ändert sich. Spalte 3 behielten wir mit „ongoing“ in etwa dem klassischen Kanban-Board entsprechend bei; hier werden die Kärtchen verortet, die bei den einzelnen Teammitgliedern in Bearbeitung sind. Spalte 4 bezeichneten wir als „im Freigabeprozess“. Die Aufgabe ist so weit erledigt aber vom internen Kunden noch nicht als abgeschlossen tituliert. Und schließlich Spalte 5, die „abgeschlossenen Aufgaben“. Die letzte Spalte „erledigt“ empfehle ich unbedingt einzuführen und beizubehalten. Wir tendieren so leicht dazu, den Erfolg nicht mehr zu sehen, wenn er eingetreten ist. Das Erledigte als gegeben hinzunehmen. Gerade aber diese Spalte gibt Teams, die sich nicht regelmäßig sehen, notwendige Erfolgsmomente. Erfolge, die es zu würdigen gilt und durchaus mal gefeiert werden dürfen. Denn sie geben Kraft für Spalte 1 – die neuen Ideen oder offene Aufgaben.

Wichtig für die Arbeit am Kanban-Board sind zwei Aspekte: eine leserliche Handschrift, wenn mit klassischen Kärtchen gearbeitet wird, und das regelmäßige „Bespielen“ des Boards. So eignet es sich für Jour Fixes – egal ob online oder analog –, bei denen jede/r im Team die Entwicklung seiner/ihrer Post-Its kommentiert und umhängt. Oder für kurze Abstimmungen mit der Leitung. Auf einen Blick sehen alle Teammitglieder, wer woran arbeitet, welche „Bottlenecks“ sich ergeben könnten und welche Erfolge das Team demnächst feiert.

Sicher führen in und durch unsichere Zeiten

Je unsicherer die Zeiten, desto wichtiger ist die unmittelbare Führungskraft. Sie gibt Vertrauen, Stabilität, Richtung und Orientierung. Damit lastet auf dieser Ebene ein enormer Druck: Wie können all diese Erwartungen erfüllt werden und wie funktioniert dieses „sichere Führen“ eigentlich?

Führen in unsicheren Zeiten bedeutet, sich Zeit zu nehmen. Zeit für das Team, den und die einzelne/n Mitarbeiter*in. Zeit in die Vor- und Nachbereitung von Gesprächen zu stecken und Zeit für sich selbst. Sammeln Sie alle Zeit, die Sie in (noch mehr) Reportings und Kontrolle stecken würden und polen Sie diese um in Zeit fürs Zuhören und gemeinsame Gespräche. Denn Reportings und Kontrolle geben nur vermeintlich das Gefühl, Sicherheit zu erzeugen. Ein starkes Teamgefüge, das auf Vertrauen basiert, ist ein viel stabileres Fundament.

Meine erste Empfehlung an Führungskräfte: Reduzieren Sie verunsichernde Reize und akzeptieren Sie, dass Unsicherheit (bei Ihnen) und im Team herrscht. Das nimmt Druck weg, perfekt sein zu müssen und auf alles in der Sekunde eine Antwort zu haben. Verunsichernde Reize können sein: neue oder mehr Formulare, abgesagte Jour Fixes, veränderte Bewertungen, geschlossene Türen – also alles, was „anders“ ist (aber eigentlich nicht notwendigerweise anders sein müsste).

Auch Ihre Führungshaltung ist entscheidend: Akzeptieren Sie, dass bei sich und Ihren Leuten in der Unsicherheit die Emotionsdecke dünner ist und – so die zweite Empfehlung – streichen Sie das Wort „aber“ getrost aus Ihrem Vokabular. Ein „Aber“ in der Haltung macht Verständnis zunichte – im Sinne von „Ich verstehe, dass mein Team nun mehr Zeit braucht, aber ich habe sie nicht.“ Oder „Ich kann den Bedarf nach Sicherheit nachvollziehen, aber mir hilft auch keiner.“ Das kleine Wort „aber“ ist eine Killerphrase. Eine Giftschleuder. Denn der gesamte Inhalt des Satzes vor dem „aber“ wird negiert. Versuchen Sie daher klare Aussagen zu treffen und formulieren Sie OHNE wenn und aber. So können Sie auch Fragen zur gemeinsamen Reflexion mit Ihrem Team stellen. Nehmen wir nochmals den ersten obigen „aber-Satz“, den Sie an Ihr Team folgendermaßen richten könnten: „Ich merke, Ihr braucht Zeit mit mir für Abstimmungen und Koordination. Meine eigenes Zeitbudget ist fremdbestimmt und ich kann derzeit nicht mehr als eine/zwei/drei Stunde/n pro Woche aufbringen. Wie schaffen wir gemeinsam eine für alle passende Abstimmung?“ Während im ersten Fall jede Diskussion zunichte gemacht wurde, lädt die zweite Erklärung zum gemeinsamen Lösungsfinden ein.

Gerade virtuelle Führung steht vor neuen Herausforderungen. Hier mein dritter Rat: Verwechseln Sie Koordination nicht mit Kontrolle. Virtuell führen funktioniert nur mit einem höheren Aufwand an interner Kommunikation und Koordination. Denn Missverständnisse entstehen vermehrt, wenn sich Mitarbeitende nicht in informelle Räume zurückziehen können oder rasche Abstimmungen „zwischen Tür und Angel“ wegfallen. Der Grad zwischen Koordination und Kontrolle ist ein schmaler.

 

Vorausschauende Rückschau

Abraham Lincoln wird das zukunftsweisende Zitat zugeschrieben: „The best way to predict the future is to create ist.“ (Die beste Möglichkeit, die Zukunft vorherzusagen, ist zu gestalten.) In Zeiten, die unplanbar und ungestaltbar scheinen, ist das eine mehr als große Herausforderung. Daher zeige ich Ihnen hier Methoden, wie Sie die Zukunft konkreter, erlebbarer und beschreibbarer machen – und damit hoffentlich gestaltbar.

Horx-Wort: Regnose

Während der Corona-Zeit wurde der Zukunftsforscher Mathias Horx mit dem Begriff der Regnose bekannt. Es handelt sich um ein Kunstwort aus Prognose und der Vorsilbe „re“ für zurück. Die Regnose setzt sich ein konkretes Datum in der mittelbaren Zukunft und beschreibt in Erzählform, wie die Zeit zwischen dem echten Heute und der fiktiven Gegenwart erlebt und bewältigt wurde. Einige Tourismusregionen haben sich schon davon inspirieren lassen und ihre Regnosen aus dem September 2020 veröffentlicht: so hat die Region Wagrain-Kleinarl die Zeit zwischen März und September 2020 genutzt, um sich neu zu definieren. Sie beschreiben die Schmerzen des Zurückfahrens und die Ablöse von nicht-passenden Beziehungen bis hin zur Stärkung der Dorfgemeinschaft und des Vereinslebens.

Wiki aus der Zukunft

Sehr ähnlich wie die Regnose ist die Methode des Zukunfts-Wiki, eines Wikipedia-Eintrages, der so verfasst ist, als würde er in zwei, drei Jahren von jetzt an geschrieben worden sein. Wikipedia-Artikel sind weniger blumig formuliert als Regnose-Gedanken, sondern basieren auf nachvollziehbaren und nachprüfbaren Quellen. Der Stil ist trocken und klar – und damit konkreter. In einem Wikpedia-Artikel finden sich Beschreibungen, wie Krisen überwunden wurden, und Hinweise zu Maßnahmen, die Erfolg hatten. Vielleicht kommt man über diesen Kunstgriff zu wirklich eindeutigen Bildern, welche Optionen welche (positive) Kraft hatten.

Future-Fiction

Im Gegensatz zu einem Blick retour aus der Zukunft geht die Methode „Future fiction“ gedanklich in die – zumeist weit entfernte – Zukunft. Angelehnt an Science Fiction Romane darf die Phantasie durchaus einmal ungezügelt loslaufen; technische Entwicklungen, Umbrüche, neue gesellschaftliche und soziale Entwicklungen dürfen übersteigert werden. Wenn Sie Ihr Arbeitsleben ins zehn, zwanzig, dreißig Jahren beschreiben, was würden Sie unter der „Future Fiction“-Brille sehen? Künstliche Intelligenz, die Ihren Job macht? Grundeinkommen für alle? Eine Klimakatastrophe oder haben wir 2020 die Klimawende geschafft? Ob der gedankliche Vorgriff utopisch oder dsytopisch ist, entscheiden die einzelnen Autor*innen oder das Team?

Wann können Sie diese Zukunfts-Techniken einsetzen?

Sie helfen beim gemeinsamen Brainstormen im Team, um einerseits das Morgen greifbarer zu machen und vor allem, um Lösungen zu identifizieren. Wie haben Sie als Team agiert, um die Zukunft planbarer zu machen? Was haben Sie als Organisationen an Maßnahmen gesetzt, um Diversität, und Inklusion zu leben und nicht nur zu wünschen?

Die beschriebenen Techniken sind auch für Expert*innen-Gremien einsetzbar. Die Industriellenvereinigung hat zwischen 2018 und 2020 zwölf Expert*innen regelmäßig zum Austausch und Dialog gebeten. In jeder Teildisziplin gab es Annahme und Prognosen, die Zukunft bis 2033 vorherzusehen. Im gemeinsamen, übergreifenden Austausch änderten sich aber Perspektiven und Sichtweisen – vor allem, wenn wir sie aus der Zukunft zurück denken. Auch für partizipative Prozesse – sei es im öffentlichen Bereich oder unternehmensintern – sind die Techniken anwendbar: Was machte Ihre Gemeinde, Ihr Verein im Rückblick besonders gut? Und schon gelangen Sie gestärkt voraus in die Zukunft.

Was bedeutet I-Methodology und wie entkommt man ihr?

Eine geraume Zeit dachte man, Maschinen seien vorurteilsfrei und treffen damit objektivere Entscheidungen als Menschen. Künstliche Intelligenz sollte das wettmachen, was uns bei Personaleinstellungen, Beförderungen oder Finanzentscheidungen leitet: das Bauchgefühl, die Sympathie, der Gefühlsüberschwang. Roboter, so die Annahme, würden Menschen nur aufgrund ihrer Qualifikation und Passung zur Aufgabe einstellen und sind neutral gegenüber Unconscious Biases, den unbewussten Vorurteilen wie Ähnlichkeiten.

Falsch gedacht! Künstlich Intelligenz ist immer nur ein Abbild derer, die sie programmieren. Und das sind je nach Programmierteam zum Beispiel junge, weiße Männer mit ähnlicher Schul- oder Studienlaufbahn oder andere in sich geschlossene Gruppen. Mit allen Vorurteilen, die der jeweiligen Gruppe anhaften. In der IT wird dieses Phänomen als I-Methodology bezeichnet; das I steht für das eigene Selbst, die eigene Lebenserfahrung und Kenntnisse daraus.  In der “I-Methodik” ist es laut Forschern so, dass der Programmierer oder (seltener) die Programmiererin eigene Vorlieben und Fähigkeiten als Leitfaden oder Maßstab heranzieht und diese – meist nicht absichtlicht, sondern unbewusst – in die Produkterstellung einfließen. Ein Beispiel dafür sind frühe Spracherkennungssysteme. Die künstliche Intelligenz konnte weibliche Stimmen nicht erkennen, da die Designer ausschließlich mit (und damit für) andere Männer entwickelten und programmierten.

Die angebliche neutrale Technologie ist also gar nicht neutral. Diesen Aspekt zu erkennen, ist bereits der erste Schritt zu seiner Bewältigung. Bei neuen Technologien wird es zunehmen zum Ziel, Unterschiede wie soziale, physische oder geschlechterspezifische, kulturelle, Klassen- und Altersunterschiede zu berücksichtigen. Im Teamkontext ist das Erkennen, dass das eigene Ich uns ganz gern auf „die anderen“ schließen lässt – und damit viel Eigenschaften, Vorlieben, Erfahrungen, Stärken anderer ausblendet – schon ein erster guter Schritt. Jede und jeder von uns lebt in ihrer oder seiner Echokammer. Nur, wenn wir uns aus unserer eigenen Welt hinaus bewegen und den anderen zuhören, teilhaben lassen, den anderen im Anderssein akzeptieren, dann bewegen wir uns in Richtung einer diversen, inklusiven Gesellschaft.

Wenn Sie mehr über das Thema lesen wollen, haben wir hier zwei passende Artikel für Sie zusammengestellt:

Wenn Sie Interesse an Workshops zum Thema Unconscious Bias haben oder eine Kulturveränderung in Ihrem Unternehmen anstoßen wollen, reden Sie mit uns. Wir haben Expertise im Thema selbst und mit dem Schwerpunkt Change die passende Kombination.

 

Wie retro ist das „neue Normal“?

Beobachtungen aus der Corona-Zeit

Die Themen Gleichberechtigung und Gleichbehandlung vor Corona entsprechen nicht den beiden Themen nach Corona. Die Krise hat etwas bewirkt: Sie hat wie ein Brennglas jene Aspekte verstärkt, die zuvor schon auf wackeligen Beinen standen oder nicht funktioniert haben. War die Verteilung zwischen bezahlter und unbezahlter Arbeit zwischen Frauen und Männern vor der Corona-Krise ungleich verteilt, so ist die Aufteilung in und nach der Krise noch traditioneller geworden. Das legen Befragung der Universität Wien im Corona-Panel von Mitte Juni 2020 nahe: Besonders ausgeprägt zeigte sich das geschlechtsspezifische Ungleichgewicht von bezahlter und unbezahlter Arbeit in Familien mit Kindern im Kleinkind- und Vorschulalter (0-5 Jahre). Obwohl die Gesamtarbeitszeit unter Müttern und Vätern ähnlich hoch war, haben Mütter einen größeren Teil ihrer Zeit für unbezahlte Arbeit verwendet als Männer. Bei Schulkindern übernahmen Frauen – egal ob in Teilzeit oder Vollzeit arbeitend – einen großen Teil der Haushaltsarbeit und des Home-Schoolings. Bei Vollzeit erwerbstätigen Müttern führte diese Übernahme an Zusatzaufgaben zu einer höheren Gesamtarbeitszeit und damit stärkeren Belastung als in Vollzeit erwerbstätigen Vätern.

Die Ökonomin Katharina Mader der Wirtschaftsuniversität Wien führt derzeit Befragungen zum Anteil der unbezahlten Arbeit und zur Belastung während der Krisenzeit durch. Ihre erste Ableitung lautet, dass Väter zwar durch die Zeit des Home-Office mehr Einblick in die unbezahlte Arbeit erhalten und den Aufwand dieser Tätigkeiten neu einschätzen lernen, dass gleichzeitig aber klassische Rollenbilder sich verstärken.

In Deutschland ist bereits von einer Retraditionalisierung die Rede. Jutta Allmendinger, Präsidentin des Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) und Professorin für Bildungssoziologie und Arbeitsmarktforschung an der Humboldt Universität Berlin beobachtet die Rückkehr zu alten Rollenmustern in Familien: „Der Mann geht arbeiten oder zieht sich ins Homeoffice zurück, die Frau kümmert sich um Kinder und Haushalt und ist damit urplötzlich zurück an den Herd katapultiert.“

Um diese und mehr Aspekte wird es bei unserem Salon-Frühstück Breite Gasse am 9. Oktober 2020 gehen: Welche Beobachtungen haben Sie gemacht? Welche „Aushandlungs-Prozesse“ fanden in Ihrem Leben statt? Wie haben Sie das Leben in den eigenen vier Wänden mit Arbeit, Haushalt, Partnerschaft und mit Kinderbetreuung neu gemanagt? Wir sehen uns die Zeit vor Corona mit zwei jungen Wissenschafterinnen an, die über Coping-Strategien forschten. Und wir sehen auf die Zeit nach Corona – und wollen am Thema „draufbleiben“. Denn meist „passieren“ neuer Abläufe und Zuständigkeiten aus der Krise heraus ganz einfach und manifestiert sich unausgesprochen. Was uns die Krise nämlich zeigt: Konstrukte, die rasch (in der Not) entstanden sind, können sich dauerhaft halten. Damit wir nicht in die Retro-Zeit zurückkatapultiert werden, dazu braucht es eine gute gemeinsame Beobachtung und aktive Handlungen.

Melden Sie sich an: WEBINAR zum Thema „Vereinbarkeit in Zeiten von Corona“. Die Veranstaltung führen wir im Rahmen von DIVÖRSITY durch.

Fünf Möglichkeiten, Corona zu (üb)erleben

Wie geht es nach der Gesundheits-Krise, die sich zu einer schwerwiegenden Wirtschafts-Krise entwickelt hat, weiter? Unternehmen und Organisationen stehen vor zahlreichen Fragen unter veränderten Bedingungen – aber nicht für alle gilt das Gleiche. Wir haben uns unter unseren Kunden umgeschaut und fünf Krisen-Typen mit unterschiedlichen Strategie-Möglichkeiten beyond Corona. Wir möchten gerne auch von Ihnen wissen: welche Strategie könnte für Ihre Situation angemessen sein und haben am Ende eine kurze Umfrage vorbereitet, zu der wir Sie gerne einladen.

 

Typ 1: „The winner takes it all.“

In der Krise wurden manche Artikel, beispielsweise Lastenfahrräder oder Webcams/Headsets, enorm nachgefragt. Firmen, die Güter, die es in dieser Krise brauchte, herstellten oder Dienstleistungen, die notwendig waren etwa Zustelldienste, anboten, kamen mit der Arbeit kaum nach. Auch die Sozialpartner waren mit Kurzzeit-Anträgen oder Härtefonds-Abwicklung mehr als ausgelastet. Nach der Krise heißt es, kurz inne zu halten: War Corona eine Ausnahme und kehre ich zu bisherigen Aufgaben oder Umsätzen zurück? War Corona der Auftakt zu Mehr – und wenn ja zu mehr wovon genau? Auch Wachstum braucht eine fundierte strategische Planung und Ausrichtung auf die neuen Bedingungen. Ein Herunterfahren eines krisenbedingten Booms auf ein Normalmaß verlangt nach einer passenden Redimensionierungs-Strategie.

Typ 2: „Business as usual.“

Einschnitte kann es bei diesem Krisentypus in der Corona-bedingten Auszeit gegeben haben. Möglich. Aber eigentlich findet das Business oder der Zweck, für den eine Organisation steht, in gleicher Weise seine Fortsetzung. Achtung vor einer möglichen Denkfalle, denn 1:1 wird es auch für diesen Typus nicht weitergehen. Strategisch macht es Sinn, sich die veränderten Umwelten außerhalb der eigenen Organisation anzusehen. Eine Veränderung von außen, die übersehen wird, kann leicht zum Stolperstein werden.

Typ 3: „Transformer.“

Organisationen haben sich durch die Krise verändert. Was vorher undenkbar war, etwa home-office oder home-schooling, war einige Wochen Alltag. Eine Kundin aus der Verwaltung meinte: Hätte sie dem Bürgermeister eine radikale Umstellung der Alltags-Prozesse vor der Krise auf digitale Weise so vorgeschlagen, wie es gekommen ist, man hätte sich nicht ernsthaft mit dem Projekt befasst. Dieser Typus steht nun vor den gezielten Fragen: Was lernen wir aus Corona? Was behalten wir bei? Was hat uns stärker gemacht, was war wirksam? Wovon können wir uns (endlich) verabschieden? Die Möglichkeit, „heilige Kühe zu schlachten“ ist gegeben. Die Transformierung darf hier aber nicht nur aus dem eigenen Erleben und der eigenen Erfahrungen stattfinden. Strategisch macht es Sinn, die eigene Veränderung an neue Zukünfte anzupassen: etwa an Klimaziele, die bislang eher halbherzig verfolgt wurden, oder soziale Ziele, die sonst gesellschaftlichen Sprengstoff bergen.

Typ 4: „Rethinking Business.“

Wenn die Umsätze komplett eingebrochen sind, die Nachfrage zum Erliegen kommt, dann heißt es, schnell den Kopf aus dem Sand recken und die Optionen überdenken: Müssen wir uns ganz neu ausrichten, brauchen wir andere Strukturen oder eine veränderte Haltung? Wenn dieser Typus eine neue Strategie entwickelt, sollte er zuerst die Frage beantworten: Sind Zweck und Sinn (neudeutsch „Purpose“) unseres Tuns vor Corona gleich wie nach Corona? Alles neu denken zu dürfen, ist auch eine Chance. Es bietet einigen Organisationen die lang ersehnte Möglichkeit, agil zu werden. An dieser Stelle eine Empfehlung eines Interviews mit Bodo Janssen. Er ist Leiter der Tourismusbetriebe Upstalboom; seine offene Art, mit Mitarbeiter*innen die Krise zu bewältigen und die agile Selbstorganisation helfen ihm dabei, die Krise unter neuen Blickwinkeln zu betrachten.

Typ 5: „Game Over.“

Und natürlich gibt es auch die Organisationen, denen Corona die Grundlage entzogen hat. Die nun überlegen müssen, wie sie ein Downsizing bewältigen, wie der Abbau bisheriger Leistungen über die Bühne gehen kann und wie möglicherweise eine Rettung der Idee oder des Organisationszwecks in kleinerer Form funktionieren kann. Wir vom impulsbüro. hoffen inständig, dass es in den vielen Kunst- und Kulturbetrieben und Festivals, die sich mit gesellschaftlichen Themen befassen (etwa dem FAQ im Bregenzerwald), viele Rethinker und motivierte Transformer gibt, damit dieser Typus die Szene nicht heimsucht.

In welchem Typus sehen Sie Ihre Organisation? Wir möchten Sie bitten, bei einer kurzen UMFRAGE mitzumachen : In welchem Typus finden Sie sich wieder? Welche Strategie passt für Ihre Organisation gerade? Die Umfrage dauert 3 Minuten und im nächsten Newsletter veröffentlichen wir einen – anonymen – Überblick. Zum gegenseitigen Lernen und Unterstützen. Von Firma zu Firma. Von Organisation zu Organisation. Egal zu welchem krisenbedingten Typus Sie Ihre Organisation zählen, wir unterstützen Sie gerne bei Ihrem Weg.

Und wie geht es im impulsbüro. weiter?

Ein Re-Start ist auch in unserer Bürogemeinschaft mehr als nur die Wieder-Öffnung von Räumen. Wir haben uns als Team der Breite Gasse zwei Wochen Zeit genommen, die Vorbereitung für das „neue Normal“ zu planen. So haben wir unsere Erlebnisse und Sorgen während der Abwesenheit geteilt und lachend Ideen für neue Angebote gewälzt. Die Change-Beratung und Organisationsentwicklung setzen wir mit dem Fokus „beyond Corona“ fort; Martina Friedl wird deutlicher als bisher ihre Beratungskompetenz im Life Science Sektor ausbauen, Alois Schrems das Thema resiliente Organisationskultur stärken und Gabriele Strodl-Sollak startet ganz neu online eine Karriereunterstützung für Frauen als Fortsetzung unserer bisherigen Positionierungs-Workshops. Marlene Sotzko wird mehr Change-Verantwortung übernehmen und mich intensiver bei Moderationen in Veränderungsprozessen unterstützen, damit ich meine Lehr- und Autorentätigkeit für das Führungskräftethema intensivieren kann. Als Team Breite Gasse werden wir die Zusammenarbeit mit jungen Wissenschafterinnen und Talenten intensivieren: Eine erste Veranstaltung dazu ist für den 9. Oktober 2020 geplant – mehr im kommenden Newsletter.